Wider die Normalisierung!

Für eine klare politische und organisatorische Abgrenzung zur AfD im Bundestag: ein Gastbeitrag von Christine Buchholz

  • Christine Buchholz
  • Lesedauer: 10 Min.

Mit der AfD sind erstmals seit mehreren Jahrzehnten Nazis in den deutschen Bundestag eingezogen. Eine Debatte über den Umgang mit ihnen ist entbrannt. Der Parteivorstand der LINKEN hat auf seiner Sitzung am 25. September 2017 seinen Grundsatzbeschluss vom Februar 2016 bekräftigt. Darin macht Die LINKE klar, dass sie auf allen Ebenen einer »Normalisierung« der AfD entgegenwirkt:

»Wir betreiben eine klare politische und organisatorische Abgrenzung gegenüber der AfD. Wir werden z. B. in Parlamenten (…) keine gemeinsamen Anträge einreichen, wir werden konsequent gegen Anträge der AfD stimmen, keine gemeinsamen Erklärungen abgeben, keine Unterstützung in Personalangelegenheiten gewähren oder annehmen. Dort, wo jedoch der Kern parlamentarisch-demokratischer Arbeit durch eine strikte Abgrenzung zur AfD blockiert werden würde, sind zu begründende Ausnahmen denkbar, wenn sie a. zur Aufrechterhaltung der Arbeit des Parlamentes nötig und b. nicht zu einer Stärkung der AfD führen. Wir werden für einen Kurs der strikten Abgrenzung, der im Idealfall in einer politischen Isolierung der AfD endet, bei anderen Fraktionen, Parteien, Stiftungen, Organisationen und in der Öffentlichkeit werben.«

Die AfD hat im Wahlkampf auf Wahlplakaten und in Reden Nazi-Parolen verbreitet. Sie hat mit NPD, Pegida-Ablegern und Neonazis Wahlkampfauftritte von Angela Merkel genutzt, um am Rand hasserfüllte, rassistisch motivierte Gegenkundgebungen zu organisieren. Sie hat damit an eine Reihe gemeinsamer Mobilisierungen mit Pegida angeknüpft. Die AfD ermutigt mit ihrer Hetze rechte Gewalt. Sie vergiftet das gesellschaftliche Klima. Sie lehnt die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit für Muslime ab. Sie ist völkisch-national, rassistisch, frauenfeindlich, homophob, unsozial und undemokratisch. Ihr Spitzenkandidat Alexander Gauland bekannte sich im Wahlkampf dazu, »stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«. Er drohte damit, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özogus »in Anatolien zu entsorgen«.

AfD-Vizepräsidenten verhindern

Innerhalb der AfD ist seit der faktischen Entmachtung von Frauke Petry im April 2017 der Neonazi-Flügel um Björn Höcke und André Poggenburg immer stärker geworden. Dieser Flügel setzt auf Straßenmobilisierungen und offene Zusammenarbeit mit Pegida, NPD und Identitäre. Er kann sich auf die Unterstützung von Alexander Gauland und Jörg Meuthen verlassen.

Viele Medien verharmlosen die Partei als national-konservativ. Doch angesichts des Einzugs von Nazis in den Bundestag darf es kein »Business as usual« geben. Was wir brauchen, ist ein starkes antifaschistisches Zeichen an die Gesellschaft, das Menschen ermutigt, gegen die AfD zu argumentieren und zu protestieren. Denn nur eine breite Massenbewegung kann die AfD stoppen.

Wenn die AfD einen Vizepräsident im Bundestag stellen kann, dann wird sie das als Erfolg darstellen. Ihr wird damit bescheinigt, dass sie eine vermeintlich normale Partei ist. Dies trägt zu einer gefährlichen Gewöhnung an diese Partei bei. Deshalb ist es richtig, wenn die Abgeordneten der Partei Die LINKE »Nein« zu einem Vizepräsidenten der AfD im Bundestag sagen. Wir fordern die anderen Parteien auf, gemeinsam mit uns einen Vizepräsidenten der AfD zu verhindern. Das gilt sowohl für Albrecht Glaser, der dem Islam abspricht, kompatibel ist mit dem Grundgesetz und Religionsfreiheit für Muslime einschränken will, wie auch für alle anderen Mitglieder der AfD-Fraktion.

Auch Personalvorschläge der AfD zur Besetzung anderer hervorgehobener Positionen im Bundestag lehnen wir ab. Wir begründen diese prinzipielle Haltung damit, dass es sich bei der AfD nicht um eine demokratische Partei wie alle anderen handelt, sondern um eine rassistische, undemokratische Partei, deren Bundestagsfraktion von Neofaschisten dominiert wird. Eine grundsätzliche Ablehnung macht es möglich, öffentlichkeitswirksam über den Charakter der AfD aufzuklären.

Historische Vorbilder

Die LINKE befindet sich damit in der Tradition der Sozialdemokratie von August Bebel und Wilhelm Liebknecht. In den 1880er Jahren hat die SPD alle Angebote der konservativ-antisemitischen Christlichen Sozialen Partei des Hofpredigers Stöcker auf eine Zusammenarbeit im Reichstag standhaft abgelehnt, selbst wenn es um die Durchsetzung von Sozialreformen ging. Grundlage war ein offener Brief von August Bebel und Wilhelm Liebknecht, in dem es hieß: »Wir lehnen es ab, mit Parteien gemeinsame Sache zu machen, die in ihren Bestrebungen reaktionär und deshalb arbeiterfeindlich sind.«

Die konsequente Abweisung der Stöcker-Partei war nicht immer einfach, aber sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass die sozialdemokratische Wählerschaft nicht den Antisemiten auf den Leim ging. Der Stöcker-Partei gelang es nicht, wesentliche Teile der Arbeiterklasse auf ihre Seite zu ziehen.

Gegen eine solche eindeutige Haltung werden verschiedene Gegenargumente vorgebracht.

Gegenargument 1: »Die AfD ist demokratisch gewählt, also hat sie auch Rechte.«

Die Abgeordneten der AfD wurden gewählt. Dies ändert nichts daran, dass sie eine Gefahr für die Demokratie darstellen und ihrerseits die demokratischen Rechte von Minderheiten bedrohen. Insofern ist es legitim, die AfD-Kandidaten im Bundestag nicht in Ämter zu wählen. Niemand kann die demokratisch gesinnten Abgeordneten des Bundestags zwingen, die antidemokratischen Kandidatinnen oder Kandidaten der AfD zu unterstützen.

Die Gefahr, die von ihr ausgeht, ist nicht zu unterschätzen: Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung hat vor der Wahl eine Untersuchung über alle 235 Kandidaten der AfD zum Bundestag veröffentlicht. Sie rechnete 40 zu den Unterstützern von Frauke Petry und 97 zu den »Unauffälligen«. 98 Kandidaten ordnet sie dem Höcke-Flügel zu. Im Bericht heißt es: »Allerdings finden sich vor allem auf den aussichtsreichen vorderen Listenplätzen viele Anhänger Höckes und Personen mit Verbindungen in die extreme Rechte. (..) . Damit wären die Rechtsaußen in der AfD-Fraktion in der Mehrheit.« Es ist ihre politische Unterlegenheit, die Frauke Petry zu ihrer Ankündigung trieb, nicht in die AfD-Fraktion im Bundestag ein- und aus der AfD auszutreten. Sie kapituliert vor der Stärke des Nazi-Flügels.

Vertreterinnen und Vertreter des nationalkonservativen Flügels wie Alice Weidel und Beatrix von Storch sind selbst völkisch und rassistisch. Alice Weidel hetzt gegen Geflüchtete und Muslime. Von ihr wurde eine Hassmail im »Reichsbürger«-Jargon bekannt. Beatrix von Storch forderte den Schießbefehl gegen Geflüchtete an der Grenze und bezeichnete den Islam als »Fremdkörper«. Auch diese AfD-Vertreterinnen sind nicht wählbar. Enthaltung ist keine Alternative, da es uns als mutlos erscheinen lassen würde.

Gegenargument 2: »Die Grünen und die LINKE sind doch auch mal ausgegrenzt worden, warum wollt ihr jetzt die ausgrenzen?«

Die Grünen wurden in den 1980er Jahren ausgegrenzt. Erst seit 1994 darf jede Fraktion einen Vizepräsidenten vorschlagen, der von den anderen in der Regel gewählt wird und nicht abwählbar ist. Im Jahr 2005 wurde zum ersten und letzten Mal ein Vorschlag einer Fraktion nicht gewählt: Lothar Bisky, Fraktion die LINKE. Die Ausgrenzung der Grünen und später der LINKEN war falsch, denn beide sind demokratische Parteien.

Anders verhält es sich mit der AfD. Es wäre naiv, zu glauben, wenn die anderen Fraktionen »fair« mit den Abgeordneten der AfD umgehen würden, würde die AfD ihrerseits einen »fairen« Umgang mit uns pflegen. Sie kündigt das Gegenteil offen an: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier, einst Mitglied der rechten, gewalttätigen »German-Defense-League«, später Pressesprecher von Frauke Petry und nun von Alice Weidel, rief in Erfurt 4.000 AfD-Anhängern zu: »Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht.«

Gegenargument 3: »So stilisiert man die AfD zum Opfer der etablierten Parteien«

Die AfD stilisiert sich stets zum Opfer. Tatsächlich macht sie andere zum Opfer. Sie hetzen gegen Geflüchtete, Muslime und Andersdenkende. Sie hat direkte Verbindungen in die gewaltbereite Nazi-Szene. So kam unlängst heraus, dass Maximilian T. – dem vorgeworfen wird, neben Franco A. Teil der in diesem Jahr aufgeflogenen Terrorzelle in der Bundeswehr zu sein – AfD-Mitglied ist. Sie stehen unter Verdacht, eine Todesliste erstellt, 1000 Schuss Munition beiseite geschafft und Anschläge gegen politische Gegner vorbereitet zu haben, die sie Flüchtlingen in die Schuhe schieben wollten.

Wenn die Fraktionen im Bundestag sich von der AfD abgrenzen und keinen AfD-Politiker zum Vizepräsidenten wählen, machen sie die AfD nicht zum Opfer, sondern schwächen sie. Für die harten AfD-Anhänger mag das eine Bestätigung ihrer Selbstwahrnehmung als Opfer sein, für ein weiteres Ausgreifen in die Bevölkerung ist die öffentliche Ächtung als Nazi-Partei oder Halb-Nazi-Partei für die AfD ein großes Problem.

Vorbild ist das Landesparlament in Schleswig-Holstein. Dort wird gegenüber der AfD der »Schweriner Weg« verfolgt. Dabei handelt sich um das Modell, das im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern von allen demokratischen Parteien jahrelang gegenüber der NPD-Fraktion Anwendung fand. Diese Linie ging in Schleswig-Holstein in diesem Jahr einher mit zahlreichen außerparlamentarischen Aktivitäten gegen die AfD im Landes- und Bundestagswahlkampf, getragen von Gewerkschaften und dem Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«. Diese Ausgrenzung hat der AfD nicht genutzt. Im Gegenteil: Schleswig-Holstein ist das Bundesland, wo die AfD bei der Bundestagswahl mit 8,2 Prozent das schlechteste Ergebnis in einem Flächenland geholt hat.

Soziale Kämpfe und Proteste gegen Rechts aufbauen

Die LINKE muss neben der Isolierung der AfD im Parlament klare Kante gegen den Rassismus der AfD zeigen. Sie sollte außerparlamentarische Mobilisierungen gegen die AfD weiterhin aktiv unterstützen, mit dem Ziel eine antifaschistische und antirassistische Massenbewegung aufzubauen. So kann das Klima in der Gesellschaft nach links verschoben, über den Charakter der AfD aufgeklärt und im Bündnis mit den von Rassismus und Sexismus betroffenen Menschen die Ausdehnung der AfD als »Bewegungspartei« verhindert werden.

Es ist die Geschichte, die uns lehrt, wie wichtig diese entschlossene Gegenmobilisierung ist. Auf dem Parteitag der NSDAP 1933 sagte Hitler über den Aufstieg der Nazis: »Allmählich entstand im Staat der Demokratie der Staat der Autorität, [...] ein Kern fanatischer Hingebung und rücksichtsloser Entschlossenheit. Eine einzige Gefahr konnte es gegen dies Entwicklung geben: Wenn der Gegner [...] mit letzter Brutalität am ersten Tag den ersten Keime der neuen Sammlung vernichtete.«

Der Geschichtslehrer Höcke knüpft bewusst an die Tradition faschistischer Bewegungen in den 20er und 30er Jahren an. Er steht als exponiertester Vertreter in der AfD für einen Aufbau über regelmäßige Massenkundgebungen und Mobilisierungen. Die AfD bezeichnete Höcke als »letzte friedliche Chance für unser Vaterland« – eine implizite Androhung von Gewalt und Bürgerkrieg, sollte sie nicht über das Parlament an die Macht gelangen.

Höcke kann durch Gegendruck gestoppt, und die inneren Widersprüche innerhalb der AfD verstärkt werden. Dies zeigen erfolgreichen Aufklärungs- und Protestkampagne wie zum Beispiel in Berlin-Neukölln. Dort hat ein breites Bündnis systematisch gegen den neofaschistischen AfD-Kandidaten zum Bundestag, Andreas Wild, mobilisiert. Zunächst reagierte der Neuköllner Stadtrat der AfD auf den Druck und trat mit Hinweis auf Andreas Wild aus der Partei aus. Wild wurde in der Folge zu einer so großen Belastung für die AfD-Neukölln, dass sie ihn in letzter Sekunde als Kandidaten zurückzog. Schließlich wurde er sogar aus der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ausgeschlossen. Die AfD ging in Neukölln zerstritten in den Wahlkampf und verlor im Vergleich zur Abgeordnetenhauswahl 2016 mehr als 1600 Stimmen und 2,7 Prozent.

In Münster, wo 10.000 Menschen gegen den Auftritt von Frauke Petry und Pretzell demonstriert hatten, landete die AfD bei den Landtags- und Bundestagswahlen ebenfalls unter der 5 Prozent-Marke. In Köln schnitt die AfD bei den Landtags- und Bundestagswahlen unterdurchschnittlich ab, nachdem in der Stadt im April 30.000 gegen den Bundesparteitag der AfD demonstrierten. In Münster und Köln haben neben der LINKEN auch Gewerkschaften, Sportvereine, antirassistische Initiativen, SPD und Grüne zum Protest gegen die AfD aufgerufen.

Neben der Mobilisierung auf der Straße braucht die LINKE eine klare Oppositionspolitik zu einer möglichen Jamaika-Koalition. Sie muss die Auseinandersetzung mit CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen führen, die mit ihrer Verschärfung der Asylpolitik, aber auch mit ihrem Neoliberalismus die Entsolidarisierung der Gesellschaft und die Verunsicherung von breiten Bevölkerungsschichten maßgeblich verstärkt haben.

Die LINKE kann zurzeit kaum verhindern, dass die AfD im Kleinbürgertum mit rassistischen Parolen Anhänger gewinnt. Aber sie kann in der Arbeiterklasse weiter Fuß fassen: Als antikapitalistische Protestpartei, die die sozialen Kämpfe, wie beispielsweise Mieter- und Umweltproteste oder Streiks unterstützt, etwa bei Amazon oder in Krankenhäusern. So können die, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen, wieder Hoffnung auf Veränderung schöpfen. Erfahrbare Klassensolidarität ist eine wichtige, zentrale Voraussetzung, um das Eindringen der AfD in die Arbeiterklasse zu verhindern. Dies wäre ein wichtiger Beitrag, um den weiteren Aufstieg der AfD zu stoppen und sie wieder gesellschaftlich zu isolieren.

Christine Buchholz ist verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Lesen Sie zu dieser Debatte auch:

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>> »Links ist an der Seite der Schwachen« von Gregor Gysi

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