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Prost, Protest und Prosa

Organisatoren der Einheitsfeier in Mainz geben sich kosmopolitisch und verzichten auf große nationale Symbolik

  • Max Zeising, Mainz
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie musste nicht weg, diesmal nicht. Als Angela Merkel am Dienstagmorgen in Mainz ankam, um sich zunächst im Gutenbergmuseum ins Goldene Buch der Stadt einzutragen und dann am Festgottesdienst im Mainzer Dom teilzunehmen, war die Stimmung entspannt. Mehrere Hundert Menschen hatten sich auf dem Marktplatz eingefunden, um die Kanzlerin zu sehen. »Merkel muss weg«- oder gar »Volksverräter«-Rufe waren nicht zu hören. Stattdessen wurde gejubelt, geklatscht und sogar gesungen: »All you need is love«.

Der Auftakt der diesjährigen Einheitsfeier, die turnusmäßig in Mainz stattfand, verlief ruhig. Szenen wie vor einem Jahr in Dresden, als Hunderte rechte Pöbler Angela Merkel mit Pfiffen und Buhrufen empfingen, gab es in Mainz nicht. Damals hatten Pegida-Demonstranten der Bundesregierung nicht nur die schönen Bilder vermiest, sondern auch selbst unschöne Bilder in die Welt gesetzt.

Dienstagmittag am Mainzer Hauptbahnhof: 150 linke Demonstranten versammelten sich zu einer Kundgebung. Während Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von der breiten Öffentlichkeit abgeschottet, in der Rheingoldhalle den offiziellen Festakt zur Deutschen Einheit begingen, protestierten die Linken unter dem Motto »Diesem Deutschland keine Feier« angesichts von sozialer Ungleichheit, den NSU-Morden und dem Einzug der AfD in den Bundestag gegen Nationalismus und den Staat. Ebenso abgeschottet allerdings, weil ihnen kein Demonstrationszug in der Innenstadt gewährt worden war. Ein paar rechte Störer am Rand der Kundgebung wurden von der Polizei abgewiesen.

Steinmeier erklärte zur gleichen Zeit in der Halle, dass »die große Mauer quer durch unser Land« verschwunden sei, aber andere Mauern entstanden seien. Der Bundespräsident sprach von Mauern zwischen Stadt und Land, Arm und Reich sowie von »Mauern rund um die Echokammern im Internet«. Steinmeier sprach auch über die Flüchtlingspolitik. Deutschland könne den politisch Verfolgten in Zukunft nur dann gerecht werden, »wenn wir die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt oder wer auf der Flucht vor Armut ist«.

Am Montag hatten die Feierlichkeiten begonnen. Mainz glich einem Volksfest, geschützt durch massive Polizeipräsenz. Rund 7400 Polizisten waren an den beiden Tagen im Einsatz, Betonblöcke und Lkw-Barrieren sowie Kameraüberwachung und No-Go-Zonen sollten für zusätzliche Sicherheit sorgen. Wer zum Informationszelt der Bundesregierung wollte, musste zunächst einen Sicherheitscheck wie auf dem Flughafen passieren. Besonders viele Uniformen gab es auf der »Blaulichtmeile« zu bestaunen, wo kleine Kinder mit echten Soldaten sprechen durften.

Ansonsten kam die Einheitsfeier ohne große nationale Symbolik aus: Deutschlandfahnen waren kaum zu sehen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) schlug vor, am Einheitstag - wie bei einem Flashmob - gemeinsam die Europahymne »Ode an die Freude« zu singen - und nicht die Nationalhymne. Modern, jung und weltoffen wollte sich Deutschland präsentieren: Auf der Facebook-Seite des Einheitstages zeigte sich der »Einheitssprecher« mit kariertem Hemd und Hipsterbart, neben dem Infozelt der Bundesregierung gab es vegane Burger, und der Berliner Liedermacher Max Prosa sprach mit seinen träumerisch-kritischen Texten wohl eher den Kosmopoliten als den Nationalisten an.

Viel getaumelt wurde trotzdem. Vor allem bleibt die Einheitsfeier eine Veranstaltung, auf der die Gegenwart ausgeblendet und dafür kollektiv an die Vergangenheit gedacht werden soll: Vor dem Staatstheater lief eine der zahlreichen Wende-Dokus, in denen Günter Schabowski auf der berühmten Pressekonferenz seinen berühmten Satz stammelt, und wenige Meter entfernt standen die Alt-Granden Münchener Freiheit und Karat auf der Bühne, die immer dann aus der Mottenkiste gekramt werden, wenn es gilt, sich gemeinsam an vergangene Zeiten zu erinnern.

Absurderweise ließen die vielen Luftballons mit der Aufschrift »So geht sächsisch!« - wenn auch ungewollt - am ehesten daran denken, dass es Deutschland auch in der Gegenwart gibt. Und, dass dieses Land gegenwärtig keine Wohlfühloase ist, sondern eines mit Problemen nach der Bundestagswahl, bei der die AfD stärkste Kraft im Freistaat wurde.

An ein weiteres Problem erinnerte ein Mann mittleren Alters, einer der etwa 500.000 Besucher, der im Infozelt der Bundesregierung eine Broschüre der »Beauftragten für die neuen Bundesländer« durchblätterte. Die Einheit finde er gut, aber: »Die Löhne sind in Ost und West immer noch nicht angeglichen.« Dann erzählte er, wie er 1993 aus Chemnitz in den Westen zog, aber noch heute viele Freunde in Ostdeutschland habe: »Gewissen Unmut kann ich durchaus nachvollziehen. Denn die Bundesregierung hat den Unmut mit hervorgebracht.« Kommentar Seite 4

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