Nicht nur mit Stock und Schlegel

Radialsystem V: Das KNM-Projekt »Die Welt nach Tiepolo« fand seinen Abschluss mit Teil 4: »Afrika«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie kommt Mitte des 18. Jahrhunderts ein Maler dazu, darzustellen, was erst viel später sich ereignete, nämlich die Zerstörung der Kolonialreiche? Einmal, weil Künstler seismografisch ertasten können, wie die Welt wird, zum anderen, weil alle Merkmale der Erstarrung und Zerstörung seinerzeit schon angelegt waren. Das die Welt erfassende heilige Rom war gipsern, die Lanzen rostig, die Berge weiß und grau, das Leuchten der Engel unecht, die Mauern und Türme verrottet, die samtenen Kleider der Thronenden wie ihres Gefolges angefressen.

All dies malte Giovanni Battista Tiepolo in sein riesiges Deckenfresko für die Würzburger Residenz hinein. Den mutmaßlichen Süden anvisiert, stechen zwei Kreuze auf dem Berge hervor, Gräber. Das ist Afrika. Auf dessen Reichtümer gründete sich jenes gipserne Rom.

Den Blick auf solche Bildkunstwerke anzustrengen und sie zu befragen, ist für Neue Musik hierorts völlig unalltäglich. Umso löblicher das vierteilige Projekt »Die Welt nach Tiepolo«, jene Initiative des Kammerensembles Neue Musik Berlin (KNM), künstlerisch geleitet von Thomas Bruns, die nun mit dem Schlussteil »Afrika« erfolgreich zu Ende ging.

Afrika steht synonym für Ausplünderung des Kontinents in nie gekanntem Ausmaß, für Dürre und Hunger, für Widerstand und wachsendes Selbstbewusstsein, auch für die Erhaltung von Stammes - und Volkstraditionen. Letzteres ist Teil des Finales von »Die Welt nach Tiepolo«.

Vier Männer mit Schlagstöcken schlugen nicht wie die rassistische Polizei auf Schwarze, sie schlugen im Schneidersitz auf xylophonisch angeordnete, verschieden gestimmte Holzblöcke. Was die vier Schlagzeuger des Elektro Geneva Percussion Ensemble mit »Amadinda« rhythmisch herzauberten, überwältigte.

Ähnlich überwältigend das Soloschlagzeugstück »Asanga« des aus Johannesburg stammenden Kevin Volans. Der Schweizer Alexandre Babel spielte dessen vertrackt rhythmisches Stück auf sechs verschieden gestimmten, flächig angeordneten Fellinstrumenten, dazu ein Tambourin mit Schellen. Meisterhaft die Wiedergabe.

Zentral wie in den vorigen Teilen von »Die Welt nach Tiepolo« ist das Werk des französischen Komponisten und Philosophen Hughes Dufort, »Apollon und die Kontinente«. Daraus kam das etwa 25-minütige Schlussstück »L’Afrique d’aprés Tiepolo« für Klavier und Ensemble. Es blieb einem die Sprache weg allein beim Anhören der großen Klaviereinleitung durch Frank Gutschmidt, dem begnadeten Klaviertiger, der hier die sanftesten Akkorde wiedergibt und zugleich in jedem einzelnen seine Krallen zeigt.

Die langsam fortschreitende, pausendurchsetzte Akkordkette klingt, als verunsicherten nahe und ferne Signale aus gefährlichen Gefilden den Fluss der Wahrnehmung. Dergleichen Signale sind Totenzeichen. Die ganze Musik ist eine Totenmusik von unerhörter Intensität und genauso unerhörter Eindringlichkeit. Ähnliches gibt es nicht, nicht einmal annähernd. Streichtrio, Holzbläsertrio (Flöte, English Horn, Klarinette) und stechende wie eng sich anlehnende Marimbaklänge stimmen in besagten Reigen ein und verstärken die Wirkung. Nur selten fährt das Ensemble auf. Wenn, dann geht es die Tonleiter im dreifachen Forte hoch, Trio und Holz gewinnen kurz Entfaltungsraum. Alsdann geht wieder Ruhe, Dauer, Einsamkeit fort, unendliche Trauer. Die Klarinette hat den letzten Ton.

Nach abermaligen Rhythmen aus Uganda (»Akadinda«) kamen zuletzt zwei weitere Ensemblestücke. Das eine, »Johannesburg Hymns« für Ensemble, komponiert von dem 1975 geborenen Lars Peter Hagen aus Norwegen, das zweite, »Tringle carré« für Streichquartett und Schlagzeugtrio, von dem Griechen Georges Aperghis, Jahrgang 1945.

Hagens Stück, besetzt mit Streichquartett, Holzbläsern, Trompete, zwei Schlagzeugen und zwei Plastiktuten, entwickelt keine Klänge, es präsentiert sie vielmehr. Die zwei Tuten prägen durch ihre blecherne Färbung erheblich die Klangbildlichkeit. »Johannesburg Hymns« ist ein stilles, schönes Stück, fern den kampfdurchtobten Verhältnissen in der Stadt, die nicht zur Ruhe kommt. In der Musik scheinen Zustände, Wünsche, Utopien unprätentiös mitzuklingen. Solche spielen auch in einen englischsprachigen Text hinein, den Primarius Theodor Flindell vortrug.

In Aperghis dreiteiligem »Tringle carré« für Streichquartett und Schlagzeug geht es hingegen haarig zu. Das renommierte KNM-Quartett ist hier differenziert am Zuge und muss sich einer schier überschäumenden Aktivität der drei Percussionisten erwehren. Die schlagen nicht nur mit Stock und Schlegel, die versetzen auch ihre Mundorgeln in Aktion und streichen mit Bögen die Gongs und Bleche an und die Geigen auf den Leersaiten nicht minder, die flach vor ihnen liegen, so dass irgendwann plötzlich sieben Streicher musizieren.

Das genügt nicht. Unversehens fahren in den abschließenden Teilen Silben, Worte, Melodien, Lied - und Chorfragmente in den Raum, als wäre dieser nicht schon angefüllt genug. Am Ende höchste Aufregung in allen Lagen. Die klingt rasch ab und schließt mit gestrichenen Tupfern.

Blick in die »Welt nach Tiepolo«. Hohe Anerkennung allen Beteiligten für die mit großem Bedacht und erstaunlichen Kunstleistungen durchgeführte vierteilige Konzertfolge.

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