Behörden unterschätzten rassistische Motive

Gutachten im Auftrag der Stadt München besagt, dass der Anschlag in der Landeshauptstadt vor einem Jahr eine rechtsradikale Straftat war

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Attentäter David S., der am 22. Juli 2016 in München neun Menschen und sich selbst erschossen hatte, verehrte Adolf Hitler und hasste Türken und Araber. Zu diesen Schlussfolgerungen kamen die Ermittlungsbehörden nach der Tat. Trotzdem schrieben die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt in ihrem Abschlussbericht, dass nicht davon auszugehen sei, dass die Tat »politisch motiviert« war. Zwar räumten sie ein, dass bei David S. ideologische »Anleihen aus dem Bereich Rechtsextremismus« erkennbar gewesen seien, entscheidend sollen aber Mobbingerfahrungen in der Schule und eine daraus resultierende psychische Erkrankung gewesen sein. Der Wunsch nach Rache sei demnach tatauslösend gewesen.

Der These der Behörden, dass die Tat persönlich motiviert gewesen sei, haben nun drei von der Stadt München beauftragte Gutachter widersprochen. Sie gehen nach Berichten der »Süddeutschen Zeitung« und des WDR von einer politisch motivierten Tat aus. Einer der Gutachter sprach von Rechtsterrorismus. Die Stadt hat die Sozialwissenschaftler Christoph Kopke, Matthias Quent und Florian Hartleb beauftragt, den rechtsextremistischen Hintergrund von S. zu klären. Ihre Analysen wollen sie am Freitag im Rathaus von München präsentieren.

Für die Forscher ist laut »Süddeutscher Zeitung« und WDR die Opferauswahl des Täters entscheidend. David S. ermordete ausschließlich Menschen, die aus Einwandererfamilien stammten. Zudem sei die Tat am Jahrestag des Attentats des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik begangen worden, den S. als Vorbild ansah. Breivik hatte am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen umgebracht. Die Opfer waren überwiegend Teilnehmer an einem Zeltlager der Jugendorganisation AUF der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Norwegens.

Der zum Tatzeitpunkt 18-jährige S. habe nicht an seiner eigenen Schule gemordet und er kannte keines der Opfer. Er habe aber gewusst, dass am Tatort nahe dem Olympia-Einkaufszentrum viele Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund anzutreffen sind, so die Forscher. Durch die Abwertung von Migranten habe sich S., der iranische Eltern hatte, als »echter Deutscher« gesehen. Zudem war bekannt geworden, dass der Täter in seinem Rassenwahn »stolz darauf« war, als Iraner und als Deutscher »Arier« zu sein. Die »Arier« sollen ursprünglich aus dem indisch-persischen Raum stammen. Iran bedeutet »Land der Arier«.

Die Forscher haben die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft ausgewertet. Anders als die Behörden kommen zwei der Gutachter zu dem Schluss, dass es sich um ein Hassverbrechen handle. Die Kriterien des polizeilichen Definitionssystems (PMK) für rechte Straftaten würden erfüllt. Die Behörden vernachlässigten die rassistische Dimension der Tat, so die Gutachter. Der dritte Forscher kommt zudem zum Ergebnis, dass S. ein »Einsamer-Wolf-Terrorist« gewesen sein könnte. Der junge Mann sei »ein Produkt der Selbstradikalisierung«.

Laut den Medienberichten schrieb Matthias Quent, Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena: »Rache und Politik, Aufmerksamkeit und Mission, Amok und Terror verschmelzen.« Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb wies darauf hin, dass die Ermittler außer Acht gelassen hätten, dass S. seine Tat lange Zeit und akribisch vorbereitet habe und dass er in seinen Augen München »vor Überfremdung« habe schützen wollen. Mit Agenturen

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