Von Bolschewiki und Tayloristen

Notizen von der internationalen Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung in Linz. Von Jürgen Hofmann

  • Jürgen Hofmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach langer »Quarantäne« habe die »Revolution wieder Einzug in die historiographische Debatte« gehalten, vermerkten die Veranstalter. Der Bezug zum 100. Jahrestag der russischen Revolution lag auf der Hand. In den Beiträgen auf der diesjährigen internationalen Tagung der Historiker und Historikerinnen der Arbeiterbewegung spielte er aber eher eine untergeordnete Rolle.

Dimitriy Churakow aus Moskau wich auf regionale Ereignisse in Ischewsk - exakter: auf die dortigen antibolschewistischen Aufstände - aus. Es blieb den Referentinnen aus Finnland (Tiina Lintunen) und Frankreich (Marine Dhermy-Mairal) vorbehalten, mit Beiträgen über die Netzwerke Roter Frauen 1918 und die ILO-Untersuchungen zum Bolschewismus näher auf die Wirkungen des russischen Oktober einzugehen.

Die Veranstalter hatten sich ohnehin vorgenommen, das Wechselverhältnis von Revolutionen und Arbeitsbeziehungen aus globalhistorischer Sicht zu beleuchten. Sie gingen deshalb von einem »breit gefassten Revolutionsbegriff« aus. Die angestrebte Vielfalt hatte jedoch auch zur Folge, dass die unterschiedlichen Ansätze nicht hinreichend vertieft werden konnten. Das ließ sich in der freien Diskussion nur teilweise beheben.

Einen interessanten Aspekt brachte Bernhard Bayerlein (Bochum) ein. Er skizzierte am Beispiel der Komintern, wie die Organisation von Revolutionen und Aufständen für die transnationalen Führungsgruppen zum Kern ihres Arbeitsbegriffs wurde. Jesper Jǿrgensen (Kopenhagen) rückte den Antifaschismus und die transnationale Solidarität der dänischen Seeleute und Hafenarbeiter in den Jahren 1933 und 1934 ins Blickfeld. Leo Kühberger (Graz) interessierte bei seinem Vergleich der Umbrüche von 1917 und 1968 vor allem die Frage, warum die Bolschewiki wesentliche Elemente des Taylorismus für die Modernisierung der Arbeitsprozesse übernahmen.

Im Panel zu Osteuropa plädierte Adrian Grama (Budapest) nachdrücklich dafür, den Nachkriegsaufbau in Osteuropa als Erfolgsgeschichte zu würdigen und der verbreiteten Geringschätzung dieser Leistung zu begegnen. Offen blieb dagegen, was unter Stalinisierung in der Volkswirtschaft zu verstehen ist. Enteignungen und Planwirtschaft dürften keine hinreichenden Merkmale sein, zumal auch kapitalistische Wirtschaften auf solche Maßnahmen in bestimmten historischen Situationen nicht verzichtet haben. Der Beitrag der erkrankten Renate Hürtgen (Berlin) über Formen von Selbstorganisation von Arbeiter und Arbeiterinnen im »kurzen Herbst der Anarchie« 1989/90 wurde verlesen. Die Klage, die Geschichtsschreibung würde sich fast ausschließlich auf den Sturz Honeckers fixieren, ist jedoch an linke Historiker falsch adressiert. Die Vergabepraxis der reichlichen Fördermittel zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte müsste zuvor neu ausgerichtet werden.Am letzten Konferenztag war wieder von Karl Marx die Rede. Wolfgang Häusler (Wien) brachte ihn in seinem Referat über die Wiener Arbeiter und den Demokraten Ernst Violant 1848 zur Sprache. Von David Palmer (Melbourne) und Felix Wernheuer (Köln) wurden mit dem imperialen Faschismus in Japan sowie Maos »Kulturrevolution« Probleme Asiens aufgerufen. Der afrikanische Kontinent war leider kein Thema.

Im Konferenzgebäude, dem traditionellen Jägermeyrhof in Linz, präsentierten Brigitte Pellar und Winfried Garscha (beide Wien) ihre Ausstellung zu 1927 in Österreich, als mit Gewaltlösungen der Übergang zum Austrofaschismus eingeleitet wurde. Die Folgen dieser Entwicklung konnten die Konferenzteilnehmer im »Zeitgeschichte MUSEUM« der voestalpine AG, den ehemaligen Reichswerken Hermann Göring, sehen.

Die Generalversammlung der International Conference of Labour and Social History (ITH) wählte den Vorstand sowie den wissenschaftlichen Beirat und bestätigte Susan Zimmermann (Budapest) erneut als Präsidentin. Das veränderte Statut ermöglicht ab sofort neben den institutionellen auch individuelle Mitgliedschaften. Die nächste Konferenz im September 2018 will sich Versuchen der Partizipation, der Kontrolle und der Selbstorganisation am Arbeitsplatz zuwenden.

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