Zwischen 1914 und 1990

Das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung widmet sich der DDR und greift auch darüber hinaus

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

»Zeitgeschichte ist keine Volkspädagogik«, sagte der Direktor des Zentrums für Zeithistorischen Forschung, Professor Martin Sabrow. Auf der Festveranstaltung zum 25. Jahrestag des Instituts Ende vergangener Woche im Potsdamer Kutschstall warnte er aus aktuellen Gründen davor, »die eigene Sichtweise auf dem Altar einer populären Strömung zu opfern«. Der Wissenschaftler, der ein viel beachtetes Werk zu DDR-Staatschef Erich Honecker veröffentlicht hatte, nannte einen kürzlich ausgestrahlten Film über den SED-Generalsekretär schlicht »grauenvoll«. Ihm sei ernsthaft die Frage gestellt worden, wie man sich mit einer solchen historischen Gestalt überhaupt befassen könne. Sabrow beinahe resigniert: »Damit muss man einfach leben.«

Das ZZF wurde 1992 mit dem Schwerpunkt DDR-Forschung gegründet, doch ist dieses Feld aus Sicht der Wissenschaftler offenbar genug beackert. Jedenfalls sprach Direktor Frank Bösch davon, das Forschungsfeld zu erweitern. Aufwendig wurde der 25. Geburtstag des renommierten Potsdamer Instituts begangen. Das geschah in politisch wenig übersichtlichen Zeiten, was seine Wirkung nicht verfehlte.

Der Münchner Professor Andreas Wirsching stellte seinen Vortag unter die Überschrift »Von der ›Lügenpresse‹ zur ›Lügenwissenschaft‹«. Er nannte die emporgeschossene AfD eine Gründung von Professoren, die sich jedoch zu einer Partei des Antiintellektualismus entwickelt habe. Diesbezügliche Geringschätzung habe er aber auch bei Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wahrgenommen. Kritische Wissenschaftler würden gelegentlich »zum politischen Freiwild gemacht«. Dabei geht es nicht um Geschmacksfragen. Laut Wirsching wird der Wissenschaft immer dann der Lügenvorwurf gemacht, »wenn sie stört«. Derzeit gehe es der zeitgenössischen Forschung finanziell so blendend wie nie, doch sagte er seiner Zunft voraus, dass sie sich »auf Gegenwind einzustellen« habe. In Deutschland formiere sich eine geschichtsrevisionistische Haltung. »Sollte es jemals einen Kultusminister der AfD geben, so werden wir das erleben.«

Schon nicht so einig sind sich die Forscher bei der Frage, was zum Gebiet der zeitgeschichtlichen Forschung überhaupt gehört. Die Mehrheit sieht den Zeitrahmen durch den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 und das Jahr 1990 gesteckt. Doch werfen diese Phasen natürlich Schatten auf die folgenden Jahre.

Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD) sprach dann auch davon, dass das aktuelle Wahlverhalten untersucht werden müsse, von »Ereignissen, die wir uns kaum erklären können« und von der »langen Geschichte der Wende«.

Auf dem Podium stellten sich die Wissenschaftler der Frage, ob sie nicht alle »viel zu gleich« in der Herangehens- und Betrachtungsweise seien. Sabrow sagte dazu: »Wir können uns nicht künstlich in Konflikte stürzen, die wir nicht haben.« Der Präsident der Leibniz-Gesellschaft, Matthias Kleiner, schwelgte in den Mode- und Kampfbegriffen »Diktatur« und »totalitäres Regime« und er freute sich darüber, dass ein »DDR-Punk« jetzt Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung« in New York sei. Tatsächlich gilt bei einem politisch geprägten Rückblick offenbar das Naturgesetz, dass die Deutung der jeweils vorausgegangenen politischen Formation praktisch immer korrigiert werden muss. Wie die Geschichte beweist, scheint ein politisches Regime niemals mit seinem unmittelbaren Vorgänger sachlich umgehen zu können. Wirsching sprach davon, dass das »gestern Moderne sich als das heute schlicht Irrige erweisen kann«.

Das ist nicht die Ausnahme, das ist die Regel. Schon Karl Marx beschrieb dieses Phänomen: »Die so genannte historische Entwicklung beruht überhaupt darauf, dass die letzte Form die vergangenen als Stufen zu sich selbst betrachtet, und, da sie selten, und nur unter ganz bestimmten Bedingungen fähig ist, sich selbst zu kritisieren ..., sie immer einseitig auffasst.«

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