Gruppenbild mit Damen

Der Hamburger Bahnhof zeigt Arbeiten der Finalistinnen um den Preis der Nationalgalerie

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Gruppenfoto mit den vier Berliner Künstlerinnen, die für den diesjährigen Preis der Nationalgalerie nominiert sind, erinnert an obligatorische Teamfotos von Profisportlern vor der Sponsorenwand: Iman Issa, 1979 in Kairo geboren, Sol Calero, Jahrgang 1982 aus Caracas, die 1985 in Lublin geborene Agnieszka Polska und die 1987 in Princeton geborene Jumana Manna konkurrieren um den neunten Preis der Nationalgalerie.

Ungewöhnlich ist, dass diesmal ausschließlich Frauen und zudem alle mit Migrationshintergrund für die Shortlist ausgewählt wurden. Man kann sich natürlich fragen, ob dahinter der Zufall oder eine kalkulierte Absicht steckt. Die fünfköpfige Vorjury mit Schauspielerin Meret Becker und den Kuratorinnen Natasha Ginwala und Alya Sebti hat die vier Favoritinnen aus rund 90 Vorschlägen ausgewählt. Die Empfehlungen kamen von nicht benannten, ausgewählten Direktoren und Kuratoren, die im Bereich der zeitgenössischen Kunst tätig sind. Gemeinsam ist den Finalistinnen, dass sie erfahrene »Global Player« des Kunstbetriebs sind und über mehrfache Ausbildungen oder Studienabschlüsse in verschiedenen Ländern sowie lange internationale Ausstellungslisten verfügen.

Bevor eine von ihnen am Freitag von der zweiten Jury, in der dann auch Udo Kittelmann als Direktor der Nationalgalerie ein direktes Mitspracherecht hat, feierlich zur Siegerin gekürt wird, stellen sie ihr Werk im Hamburger Bahnhof dem allgemeinen Publikum vor. Die Besucher können ihre Stimme für einen gesonderten Publikumspreis abgeben.

Der Kunstpreis der Nationalgalerie ist einer der renommiertesten in Deutschland und wird alle zwei Jahre an Künstler unter 40 Jahren verliehen. Seit 2013 ist er nicht mehr mit einem Preisgeld, sondern mit einer großen Einzelausstellung samt Katalog in einem der Häuser der Berliner Nationalgalerie verbunden.

Die Palästinenserin Jumana Manna ist in den USA geboren und in Jerusalem aufgewachsen, wo ihr Vater, der Historiker Adel Manna, ein Institut am Beit Berl College leitet. Eine mögliche Erklärung für den historischen und anthropologischen Ansatz ihrer filmischen Langzeitprojekte. Im Hamburger Bahnhof zeigt sie als Wandprojektion den Film »A Magical Substance Flows Into Me« (2015), kombiniert mit Podesten, Gerüsten und amorphen hohlen Körpern aus bemaltem Gips. Die überdimensionalen Artefakte sind wie eine archäologische Ausgrabungsstätte im Raum angeordnet, inklusive Sitzmöglichkeiten für die Besucher. Der Film ist eine Hommage an den deutsch-jüdischen Musikethnologen Robert Lachmann (1892-1939) und lässt die Zuschauer teilhaben an traditionellen Musikperformances verschiedener, rund um Jerusalem lebender Ethnien.

Im benachbarten Saal stellt die aus einer naturwissenschaftlichen Akademikerfamilie stammende Iman Issa ihre nüchtern und perfektionistisch wirkende Serie »Heritage Studies« aus. Die minimalistischen und abstrakten, vor allem aber kryptischen Objekte werden im Kontext der Konzeptkunst verortet. Wandtexte weisen die Gebilde als »skulpturale Neuinterpretationen« musealer Artefakte aus. Die Künstlerin möchte so deren Bedeutung für die Gegenwart ermitteln und wohl auch verhindern, dass die makellosen Nachbildungen als inhaltsleere Designspielereien missverstanden werden.

Agnieszka Polska zeigt zwei neue Videoanimationen »The New Sun« und »What the Sun Has Seen« (2017), die abwechselnd als Projektionen in zwei abgedunkelten Räumen laufen. Es sind Monologe der Sonne als großer Feuerball im dunklen Weltall, mit großen, traurig blickenden blauen Augen, Stupsnase und rotem Mund. Untermalt von sanfter Musik, erzählt eine männliche Stimme die Gedanken und Sorgen des Sterns im Zentrum unserer Galaxie als verschlüsselte Erzählung in Zeiten des Klimawandels.

Sol Calero hat mit »Amazonas Shopping Center« ein aufwendiges, kritisch-ironisches Environment realisiert. Die Künstlerin kombiniert mehrere Installationen aus den letzten fünf Jahren zu einem Konglomerat aus Schule, Internetcafé, Kino, Reisebüro, Wechselstube und Friseursalon. Beschwingt durchwandert man die farbenfrohen, exotisch anmutenden Segmente, die zu einem Gesamtkunstwerk über ihre Heimat Venezuela verschmelzen. Zumal im Vorbild dieses Paradieses wirtschaftliche und medizinische Versorgungsnotstände und seit Mai 2016 der Ausnahmezustand herrschen. Doch bleibt der Besucher bloßer Zuschauer in diesen farbenfrohen, aber trotzdem unlebendig und leer wirkenden Orten der Kommunikation, Stätten des Konsums und sozialer Begegnung, die sich als Potemkinsche Dörfer erweisen.

»Preis der Nationalgalerie 2017«, bis zum 14. Januar 2018 im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50-51, Mitte

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