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Garten der Lüste

Im Kino: »Lady Macbeth« von William Oldroyd

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Dies ist ein Film über die Macht auf engstem Raum. Ein archetypisches Kammerspiel zwischen Mann und Frau, so, als hätte Ingmar Bergman versucht, aus Shakespeare und de Sade das Psychogramm einer Getriebenen zu zeichnen. Täusche ich mich, oder weht der Wind zwischen den Geschlechtern, von Medien-Kampagnen vorangetrieben, in neuerlicher Schärfe?

Katherine, die Frau, um die es hier geht, funktioniert am Ende jedenfalls wie ein Macho. Rücksichtslos, kalt und verschlagen geht sie zu Werke. Am Anfang war das noch anders. »Lady Macbeth« zeigt also eine Wandlung, den Versuch einer Selbstbefreiung, die ins Gegenteil umschlägt: purer Terror, der sich verselbstständigt.

Das Macbeth-Motiv ist seit Shakespeare tief in die Zwischenräume von Macht und Trieb eingedrungen. Dass Sexualität und Gewalt keine rein männliche Domäne sind, hat bereits Nikolai Leskov in seiner 1865 erschienenen Novelle »Lady Macbeth von Mzensk« beschrieben, aus der Schostakowitsch in den 1930er Jahren eine düstere Oper machte, die man als Metapher für die Schreckensherrschaft Stalins verstehen kann.

Falsche Befreiungen also lautet das Thema in William Oldroyds gefeiertem Spielfilmdebüt. Wie ein Debüt sieht es nicht aus, aber zum ausgerufenen Meisterwerk, so scheint mir, reicht es denn doch nicht so ganz. Die Szenerie: England im Jahre 1856. Die junge Katherine wird verheiratet. Keine Liebesheirat, so sieht man gleich, der Mann ist unliebenswürdig, viel zu alt und schroff. Die Leiber bleiben unvereint. Noch schlimmer, der ohnehin bereits ältere Mann lebt mit seinem sehr alten Vater, einem reichen Minenbesitzer zusammen. Lebensart haben Vater und Sohn keine, sie sperren die junge Frau in einen Käfig aus Ödnis und Kontrolle. Dennoch gehen sie - seltsamerweise - auf langwierige Reisen und Ka᠆therine ist allein im Haus.

Die Versuchung lässt nicht lange auf sich warten - in Gestalt eines renitenten Gutsarbeiters, der so wirkt, als wolle er die Frau vom verhassten Chef schänden. Aber der unerfahrenen Frau ist diese Form von gewaltsamer Inbesitznahme eine neue Welt, in der sie sich sehr schnell ganz und gar verlieren wird - ebenso alle Regeln eines zivilisierten Umgangs miteinander. In diesem Garten der Lüste wachsen lauter Blumen des Bösen, sprich: das Verbrechen. Das An- und Auskleiden wird dabei zum Symbol einer Revolte. Anfangs das mühsame Schnüren des Korsetts, dann das Abwerfen dieses und die frei ausschwingende Sinnlichkeit.

Worauf gründet der Ausbruch einer jungen Frau aus einer repressiven Umwelt, der als Aufbruch zu sich selbst jedoch misslingt und in die Selbstzerstörung mündet? Immer wieder kommen wir, Szene für Szene beobachtend, auf die Machtfrage zurück. William Oldroyd dazu, was ihn an diesem - an sich nicht sehr originellen - Stoff fasziniert hat: »In literarischen Texten dieser Zeit leiden die Frauen in der Regel entweder stillschweigend, sie verschwinden oder begehen Selbstmord. Aber in dieser Geschichte haben wir eine junge Protagonistin, die für ihre Unabhängigkeit kämpft und sie auf blutrünstige Weise selbst in die Hand nimmt.«

Man merkt jederzeit, dass der Regisseur vom Theater kommt, in London inszenierte er - nicht ganz zufällig, so scheint es - Ibsens »Gespenster«. Dieses langsame Hinübergleiten von Vernunft, die um Akzeptanz kämpft, in dunklen Wahn! Florence Pugh als Katherine ist eine sehr junge (1996 geborene) Schauspielerin. Keine Lolita, das nicht, aber etwas Unaufklärbares zwischen bösem Kind und lasziver Frau. Anfangs liegt oder sitzt sie nur apathisch herum, dieses Leben ödet sie sichtlich an. Dann kommt der sexuelle Rausch über sie, wie jeder Rausch beflügelt er erst und macht dann rücksichtslos und grausam. Florence Pugh steht das alles ins Gesicht geschrieben, man liest es immer wieder - und versteht es dennoch nicht.

So bleibt es ein Mysterium, wie aus einer sich selbst finden wollenden jungen Frau am Ende eine Bestie werden kann, die vor keinem Mord, auch an völlig Unbeteiligten, mehr zurückschreckt. Die Kamera von Ari Wagner seziert die Szene mit kaltem Blick. Keine Bewegung scheint dabei zufällig, eine durch und durch kalte Welt wird hier wie ein Tableau dargeboten. Die Katherine treibende Gier: das Gegenteil von Gefühl.

Ein konsequenter Film, der eine intime Versuchsanordnung durchspielt. Sehr präzise und auf den Punkt genau inszeniert mit einer irritierend grausamen Hauptfigur, der man dank Florence Pugh die Sympathie nicht gänzlich verweigert. Aber um ein großer Film zu sein, fehlt »Lady Macbeth« wohl doch jener Atem, der über die eigenen Triebe hinausführt, was ja sogar bei Marquis de Sade der Fall war, der einige für seine Zeit ungewöhnliche Ideen von einer neuen Gesellschaftsordnung entwickelte. Diese provozierten die Machthaber des alten Regimes gewiss noch mehr als seine ihm nachgesagten sexuellen Ausschweifungen. Von solcherart allgemeiner Unruhe angesichts eines sich anbahnenden Zeitenumbruchs - dem immer eine Agonie des Alten vorausgeht - spürt man in »Lady Macbeth« jedoch wenig.

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