Kein Jobkiller, kein Kostentreiber, kein Blackout

Der Kohleausstieg bringt neuen Wohlstand. Alles andere ist Angstmache, meint Lorenz Gösta Beutin

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 4 Min.

Klima und Energie, beide Themen hängen zusammen. Und sind aktuell wie nie. Beide Themen sind in den letzten Wochen kaum aus den Schlagzeilen gekommen. Zwei Wochen UN-Klimakonferenz in Bonn (an der ich als Energie- und Klimapolitiker der LINKEN im Bundestag teilnahm), Tagebaubesetzungen im Rheinland des Aktionsbündnisses Ende Gelände (hier geriet ich als parlamentarischer Beobachter mit Besetzern in einen Polizeikessel), das Gezerre der Jamaika-Parteien um den Kohleausstieg. In der zweiten Sitzungswoche des Bundestages gleich eine Debatte zur Energiewende. Und meine erste Rede im Parlament.

Dabei wurde schnell klar, dass die alten Energiewende-Mythen von der Querfront der Kohleausstiegsverweigerer wieder auf dem Tisch landeten: Energiewende als Jobkiller, Energiewende als Stromkostentreiber, Energiewende als Gefahr für die Stabilität der Stromversorgung. Sprach die AfD wild um sich schlagend von der »sogenannten Energiewende« in einem »kranken Land« und »Deindustrialisierung«, so griff sie lediglich in einem anderen Duktus als FDP und Union auf längst widerlegte Energiewende-Fake-Fakten zurück.

Der Kohleausstieg ist kein Jobkiller

Immer mehr Menschen arbeiten in den neuen Branchen. Mitte des Jahrtausends wird es weltweit doppelt so viele Jobs im Energiesektor geben wie heute. Von 2004 bis 2014 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Erneuerbaren-Wirtschaft in Deutschland auf 355.400 mehr als verdoppelt. Die Verteilung auf die Bundesländer ist dabei relativ gleichmäßig, gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten haben die neuen Arbeitsplätze allerdings vor allem im Osten und im Norden eine hohe Bedeutung. Es gibt über 300 Studiengänge in dem Bereich, viele Unternehmen suchen händeringend nach Personal.

Das Umweltministerium rechnet bei einer Beschleunigung des Ausbaus von Wind, Solar und Wasserkraft mit knapp 430.000 zusätzlichen Beschäftigten im Jahr 2020, das Wirtschaftswachstum würde um einen Prozent zusätzlich zulegen. Von rund 200.000 Frauen und Männern, die laut ver.di in der Energiebranche tätig sind, arbeiten 50.000 in Braun- und Steinkohlekraftwerken, sowie 10.000 im Braunkohleabbau in Ost und West. Allerdings, sagt die Gewerkschaft, werden wegen der niedrigen Börsenstrompreise auf Jahre keine neuen Kohlekraftwerke gebaut, alte Blöcke gehen aus Altersgründen vom Netz. Strukturwandel ist also keine Frage mehr nach dem Ob, sondern nur noch nach dem Wie.

Der Kohleausstieg ist kein Stromkostentreiber

Die Preise für Windenergie, Solarkraft und Batterien befinden sich im Freiflug: Nach unten. Bis 2050, also wenn Deutschland laut Zielen der Bundesregierung 80 bis 95 Prozent weniger CO2 ausstößt als 1990, zu diesem Zeitpunkt wird Strom billiger sein als heute, so eine Studie von Wissenschaftlern der Lappeenranta University of Technology (LUT) in Finnland, die auf der Klimakonferenz in Bonn vorgestellt wurde. Zudem hat der Umbau einen sehr positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt: Weltweit könnten durch den Umstieg auf Erneuerbare Energien bis 2050 fast doppelt so viele Menschen im Stromsektor arbeiten, wie heute. Und würde man heute die Kosten von Kohle in den Kohlestrom einberechnen, dann kostete die Kohleverstromung durch Treibhausgasemissionen und Luftschadstoffe in Deutschland 2016 fast 46 Milliarden Euro. Der Gesellschaft werden pro erzeugter Kilowattstunde (kWh) Braunkohlestrom zusätzlich 19,2 Cent durch Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden aufgebürdet. Bei Steinkohle sind es 16,1 Cent pro kWh. Die Umweltkosten pro KWh bei Strom aus Erdgas (8,8 Cent) und Solar (1,8 Cent) sind viel geringer. Bei Wind mit 0,4 Cent sind sie fast völlig vernachlässigbar.

Der Kohleausstieg gefährdet die Versorgungssicherheit nicht

Eines der beliebtesten Argumente der Energiewendegegner ist der Blackout. Keiner sagt, dass alle Kohlekraftwerke mit einem Schlag ausgeschaltet werden. Ein schrittweiser Kohleausstieg ist wissenschaftlich untermauert. Und wenn zuletzt, während der Sondierungsgespräche, das Wirtschaftsministerium (in der letzten Wahlperiode unter SPD-Minister Gabriel, ein Energiewende-Bremser und Verteidiger der Interessen der großen fossilen Energiekonzerne) zusammen mit der Bundesnetzagentur (oberste Behörde für Versorgungsstabilität) ein Papier aus der Schublade holt, demzufolge mindestens sieben Gigawatt Kohlekraftwerke abgeschaltet werden können, ohne dass in Deutschland auch nur eine Glühbirne flackert, dann entpuppt sich die Warnung vorm Stromausfall, so wie die anderen Energiewende-Mythen, als reine Angstmache.

Lorenz Gösta Beutin (39) ist Energie- und Klimapolitiker der LINKEN im Bundestag und Vorsitzender seiner Partei in Schleswig-Holstein.

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