Bewegter Raum und Figur

Plastiken und Zeichnungen von Sylvia Hagen im Kunsthandel Dr. Wilfried Karger

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die in Alt-Langsow im Oderbruch lebende Sylvia Hagen - sie ist in diesem Jahr 70 geworden - hat es einst einer vehementen Anstrengung bedurft, aus dem Bannkreis ihres 2010 verstorbenen Lebenspartners Werner Stötzer herauszutreten und ihren eigenen Stil zu finden. Ihre Kunst hat aber den Menschen, sein Ebenbild keineswegs verloren, sondern auf neue Art wiedergewonnen. Der Leib wird als Landschaft, als Architektur empfunden, die organischen und tektonischen Elemente durchdringen sich in einem volumenreichen Wechselverhältnis. Ihre figurativen Plastiken setzen sich mit dem menschlichen Zusammenleben, mit Liebe, Hoffnung, Leid und Tod auseinander. Sie werden von unserer Gegenwart geschüttelt, gebeutelt. Aber sie bestehen.

25 Plastiken, zwischen 1986 und 2017 entstanden, begleitet von Aktzeichnungen, stellt jetzt der Kunsthandel Dr. Wilfried Karger aus. An ihnen wird der Grundzug der Kunst von Sylvia Hagen erkennbar: das Offene, die durchbrochene, fragile Form, nicht die Schwere des Unverrückbaren. Bewegter Raum und Figur greifen ineinander. Die stehenden, sitzenden, liegenden, gebeugten, in der Bewegung verharrenden Figuren in Bronze und Terrakotta stellen sich in kraftvoller wie verzweifelter Selbstbehauptung dar, sie suchen aus dem Material auszubrechen, die Bronze zu sprengen, die sie einengt, der Terrakotta, der »gebrannten Erde« zu entkommen. Gerade die Terrakotta, der sich die Bildhauerin schon seit längerer Zeit bedient, gehört zu den ältesten künstlerischen Werkstoffen. Von einer Hohlform aus werden die Körperpartien (Kopf, Glieder) aus vielen Teilformen zusammengesetzt.

Die Künstlerin hält genau die Balance zwischen Mythos und Realität, Traum und Zeiterkenntnis, sodass sich ihre Annäherungspunkte mit dem Wechsel der Zeiten ständig verändern. Es sind Körper, optisch gebrochen in einer hochgradigen Sensibilität, aus einzelnen, roh zusammengefügten Stücken, abgetrennten Gliedern, mit schrundiger, durchlöcherter Oberfläche und versehrter Form, mit Brüchen, Graten, Sprüngen, Verletzungen, einem ständigen Nebeneinander von Licht und Schatten. Sie verweigern sich dem ersten Blick, erwarten von uns, dass wir ihre anthropomorphe Vielgestaltigkeit und Vieldeutigkeit erst ergründen, bevor wir mit ihnen umgehen können.

Mitunter muten die unterlebensgroßen Figuren mit ihren massiven Formtrümmern wie etwas Zyklopisches an, wie Felsformationen, aus Steinblöcken aufgeschichtetes Mauerwerk (»Serpentina«, 2000, Terrakotta). Es zerschluchtet, bricht ein und auf, wird bizarr, von Zerstörung bedroht. Sylvia Hagen fächert die Flächen durch Brechungen auf, die eine starke Abstrahierung im Detail bei Gegenständlichkeit des Gesamteindrucks bewirken. In »Mondfrau« (1998, Terrakotta) etwa wird der Kopf nur durch Bruchstücke, das Gesicht nur durch eine glatte Fläche markiert. Lineare Zuordnungen bei gleichzeitiger Aufsplitterung der Flächen kann man auch in ihren Aktzeichnungen erkennen.

In »Bathseba« (1998/99, Bronze) springt aus einer geschlossenen, wuchtig modellierten Blockform mit leicht geneigter Körperhaltung das eine Bein unvermutet schwungvoll vom Körper ab. Die vollplastische Vorstellung, von der Sylvia Hagen einst ausging - so noch der stelenhaft sich aufreckende Torso von 1988/89 - , hat sich immer mehr reduziert. Sie trägt Gips auf ein Gerüst auf, das meist an den Enden der Gliedmaßen skeletthaft und funktionell sichtbar bleibt, umbröckelt von verflackernder Form. Es kommt zu Oberflächen von subtilem Wert, die das Ende einer Bewegung von innen her sind - aber oft schließen sie sich nicht, der Raum, die Umwelt, die Zeiten haben den Körpern ihre Prägungen mitgegeben. »Begegnung II« (1990/92, Bronze): Zwei Figuren in einem offenen Spannungsverhältnis. Wiederum gleicht »Quelle I« (2011, Bronze) einer Felsformation, nur zeichenhaft als weiblicher Torso erkennbar, der sich über den Boden wie eine Welle wölbt.

Die innere Energie und organische Vitalität der Form, die Hohlformen und Durchbrüche, die den Raum durchstoßen, die Beziehungen zwischen inneren und äußeren Formen, die Verbindung zwischen Skulptur und Landschaft kann immer wieder anders beobachtet werden. In ihren Porträtplastiken aber ist keine Bewegung, keine Geste, kein Wimpernzucken, kein Falten der Haut, nicht einmal Atmen. Und wenn sie doch Furchen gräbt, dann erscheint das Porträt noch ruhiger, noch konzentrierter.

Ausstellung Sylvia Hagen. Kunsthandel Dr. Wilfried Karger im Stilwerk Berlin, Kantstraße 17, Charlottenburg. Di bis Fr 14 bis 19 Uhr, Sa 10 bis 19 Uhr, bis 28. Januar 2018.

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