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Gekommen, um zu bleiben

Bundeswehrsoldaten in Jordanien und im Krieg gegen den Islamischen Staat - was kommt dann?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 10 Min.

Wüste. Das große Nichts. Ödnis, wohin das Auge schaut? Irrtum! Zwei Betonbahnen führen durch die karge Landschaft. Kilometer entfernt steht ein kleines Haus mit gläsernem Aufsatz. »Tower« steht daran. Daneben Flugzeuge, die gebaut wurden, um Bomben und Raketen ins Ziel zu bringen. Irgendwo wird ein Triebwerk angelassen. In Zelten abgestellt, sieht man ein gutes Dutzend von diesen Dingern, die ihren Propeller am Heck haben. Drohnen können ewig in der Luft bleiben und geduldig lauern, bis sich ein Ziel bietet. Ihre Piloten und die Männer, die den - für Opfer zumeist finalen - Knopf drücken, sitzen womöglich in einem der Containern, die hier massenhaft aufgestellt sind. Oder sie töten von daheim in den USA.

Das sei okay, denn es gehe ja darum, Leben zu retten. Das wird hunderttausendfach und grenzüberschreitend bedroht von den Terroristen des Islamischen Staates, auch Daesh genannt. Doch die zurecht so gefürchtete Organisation ist in Irak wie Syrien bereits wund gebombt. Sagen jedenfalls die Militärstrategen und loben ihre Allianz, die das geschafft hat. Rund 70 Staaten schlossen sich dem von der UNO etwas halbherzig legitimierten Counter-Daesh-Feldzug an, zu dem die USA geblasen haben. Nun müsse man dem IS nur noch »den Rest« geben.

Und dann abziehen? Naiv, wer das glaubt! Gerade landet wieder einer dieser grau lackierten »Restgeber«. Unter den Flügeln des Raubvogels sind jetzt keine Bomben mehr.

No Fotos! Die Bundeswehr-Begleiter, die Journalisten durch das riesige Stützpunktareal begleiten, passen auf. Schon im großen Regierungsflugzeug, das von Berlin in die Wüste geflogen ist, weil Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) einen Besuch beim deutschen Anti-IS-Kontingent absolvieren wollte, hatte man den mitfliegenden Presseleuten eingeschärft: Was ihr da auch seht, es ist nicht da. Schreibt nicht zu detailliert. Am besten so, wie es in einem zweiseitigen Dokument, das die jordanischen Gastgeber aufgesetzt hatten, verlangt wird. Danach ist selbst der Ort, an dem der Besuch stattfinden sollte, tabu. Irgendwo in Südwestasien wäre für Zuschauer wie Leser eine ausreichende Ortsbestimmung, hieß es.

Irgendwie albern! Jeder, der bei Wikipedia nachschaut, wird auf den Stützpunkt Al-Azrag aufmerksam. Satellitenbilder zeigen seine gigantischen Umrisse. Doch vor Ort soll man nicht einmal die Farbe der Flaggen beschreiben, die Soldaten verschiedener Nationen über ihre auf dem Stützpunkt angesiedelten, mit Erdwällen und NATO-Draht gesicherten Einzelcamps aufgezogen haben. Übrigens, Europa rückt immerhin dort zusammen - Belgier und Niederländer leben in Sichtweite der Deutschen.

Die Verantwortlichen des Counter-Daesh-Kontingents der Bundeswehr, das seit Sommer 2017 hier in der Wüste stationiert ist, geben ihr Bestes, um der Geheimniskrämerei ihrer Gastgeber zu entsprechen. Auskünfte erteilt man lediglich zu Fragen, die die Bundeswehr direkt betreffen. Damit Kameraaugen nicht von der Ministerin weg, in andere Richtungen schwenken, hat man abseits der Rollbahn, wo die deutschen Fluggeräte drapiert sind, blickdichte Tankwagen aufgefahren.

Nur übertriebene Vorsicht? Wer weiß?! Jordanien ist Frontstaat. Umgeben von Freund und Feind. Wobei sich fragen lässt, welche Kategorie vertrauenswürdiger ist. Die 110 000-Mann Armee des Neun-Millionen-Einwohner-Landes kennt nur Daueralarmbereitschaft. Die Grenzen des haschemitischen Königreiches sind so gesichert, dass die Konstrukteure der Berliner Mauer neidvoll dreinblicken würden. Immer wieder gibt es Zwischenfälle.

Das bettelarme Jordanien hat sich weit vorgewagt im Kampf gegen den IS. Ein Drittel der Bevölkerung besteht aus Flüchtlingen. Seit Jahrzehnten schon leben der Heimat entrissene Palästinenser hier. Nach 2015 kamen vor allem Syrier. Es ist ein Wunder, wie Jordanien versucht, humanitäre Leistungen zu erbringen. Noch erstaunlicher ist es, wie der junge König namens Abdullah II. bin al-Hussein mit unterschiedlichsten Kriegsparteien auskommt. In den USA geschätzt, kann er trotzdem gut mit dem russischen Präsidenten Putin. Er kungelt mit Saudi-Arabien und gleichzeitig mit Iran. Auch in Israel vertraut man dem Monarchen.

Umso mehr ist er verhasst beim Islamischen Staat. Jordanien bietet den »Ungläubigen«, die jetzt siegreich scheinen gegenüber dem IS, logistische Hilfe. Die jordanische Luftwaffe, gleichfalls in Al-Azraq stationiert, fliegt selbst Angriffe über die Grenze. Man erinnert sich beim Militär noch gut daran, wie IS-Killer einen über dem irakischen Rakka abgestürzten jordanischen Kampfpiloten lebendigen Leibes verbrannten. Damals hatte Jordaniens Regierung eine »fürchterliche« Antwort angekündigt.

In Amman besteht die Sorge, dass Jordanien auf noch schwerere Zeiten zugeht. Gerade durch die Zerschlagung der IS-Strukturen. Man fürchtet, dass die Terrortruppe nun Flüchtlingslager im Wüsten-Niemandsland als Basis für weitere Anschläge nutzen könnte. Dort leben derzeit bis zu 80 000 Syrerinnen und Syrer. Angst hat man auch vor heimkehrenden jordanischen Kämpfern. Zwischen 2000 und 3000 sollen sich dem IS ursprünglich angeschlossen haben. Gerade verhinderte der jordanische Geheimdienst nach eigenen Aussagen eine Reihe von geplanten Anschlägen. 17 mutmaßliche Terroristen seien gefasst, die unter anderem versucht haben sollen, Militäreinrichtungen und Einkaufszentren zu attackieren. Sicher ist, dass sie westliche Militärs treffen wollten. Als Fanal, denn dass Tausende fremde Soldaten im Land sind, wird durch die zensierten Medien nicht thematisiert. Grund: Man will keine schlafenden Hunde wecken.

Deutschland unterhält gute Beziehungen zu Jordanien. Die will man ausbauen. Nach allem, was im deutschen Camp schon errichtet wurde und was noch geplant ist, wird dort über den aktuellen Anti-IS-Auftrag hinaus eine deutsche Flagge wehen. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie deutsche Jagdbomber über der Wüste Manöver vollziehen, die in Deutschland zornigen Bürgerprotest hervorrufen würden. Doch »in Südwestasien« ist manches möglich. Und notwendig, sagt die Ministerin. Sie betont: Jordanien ist »ein Anker der Sicherheit in der Region«. So soll es bleiben. Auch mit deutscher Hilfe.

»Uns geht es gut! Wirklich …«, sagt ein Oberstleutnant, der als Verbindungsoffizier zum jordanischen Stützpunktkommandanten arbeitet. Seine Worte sind Balsam auf die Seele der Verteidigungsministerin - nach all den Querelen, die es zuvor im türkischen Incirlik gegeben hat. Im Gegensatz zu der Einreiseverweigerung für Bundestagsabgeordnete in der Türkei sind die deutschen Parlamentarier, die die Ministerin am Wochenende im Schlepp hat, als Gäste akzeptiert. Interessiert hören sie sich die Bilanz des Einsatzverbandes an. Schließlich werden sie ja demnächst um eine Mandatsverlängerung gebeten. Ende März soll das Kabinett - welches auch immer - einen entsprechenden Antrag formulieren.

Man sammelt sich im »Kultur- und Freizeitzentrum« der deutschen Basis: Billardtische, Dartscheiben, Couches, Getränkekühlschränke, Toiletten. »Hier scheint die Sonne«, steht auf einem Banner, das jemand vom Bundeswehr-Sozialdienst an die Wand gehämmert hat. Vor dem Flachbau, zu dem Plattenwege führen, deren Gestalt aus »Du und dein Garten« entnommen sein könnten, ist eine Sonnenterrasse. Wo einst gar nichts war, gibt es inzwischen einen Waschsalon, eine Kirche, einen Speisesaal. Auch hier gilt: Keine Fotos! Schon gar nicht von den extra gesicherten Stabsgebäuden, hinter denen die zahlreichen Wohncontainer der Soldaten in Reih und Glied aufgebaut wurden. Vor jedem ist ein Klimagerät installiert. Noch braucht man die produzierte Kühlung nicht, es hat maximal 17 Grad am Tage. Doch wenn die Sommersonne sich erst einmal auf die Blechdosen stürzt, wird man die Geräte zu schätzen wissen. Alle paar Meter sind Solarzellen installiert. Löcher für weitere Fundamente sind ausgehoben. Was ausschaut, als würde hier demnächst Oktoberfest gefeiert, wird demnächst eine Sporthalle tragen.

Seit Anfang 2015 beteiligt sich Deutschland im Rahmen der internationalen Allianz am Kampf gegen den IS. »Eingeladen« dazu hatte Frankreich. Nach den verheerenden Anschlägen in Paris von Ende 2015 bat Frankreichs Präsident die Verbündeten gemäß der EU-Beistandsklausel um Unterstützung beim Ausräuchern der Terrorzentralen jenseits des Mittelmeeres. Deutschland schickte nach Erteilen des notwendigen Bundestagsmandats eine Fregatte. Die half einen französischen Flugzeugträger zu sichern, von dem Jagdbomber gegen die Terror-Hochburgen ausgeschickt wurden.

Dieser Teil der Operation ist beendet. Weshalb die Bundeswehr ihre Mandatsobergrenze von 1200 Soldaten längst nicht mehr ausschöpft. Zur deutschen Anti-IS-Streitmacht gehört aber nach wie vor der Einsatz von Aufklärungs-Tornados sowie der Service, den man per Tankflugzeug bietet. Die Maschinen samt Personal waren zunächst im türkischen Incirlik stationiert. Bis sich die bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Ankara trübten. Deutsche Politiker drohten mit Abzug. Rückzug riefen nur die LINKEN und ein paar Grüne. Deutsche Militärs und Diplomaten suchten und fanden eine Ausweichlösung. In Jordanien. Der Umzug war eine immense Leistung, man musste rund 200 Container mit Technik und Ersatzteilen, an denen es anders als in der Heimat nicht mangelt, bewegen. Seit Anfang Oktober des vergangenen Jahres heben die Tornados wieder ab. Je zwei. An sechs Tagen in der Woche.

Alles laufe streng nach Bundestagsmandat, wird betont. Die von Bundeswehrspezialisten ausgewerteten Luftaufnahmen werden an das Operations Centre in Katar übersandt. Doch zuvor müssen sie von speziell dafür geschulten deutschen Offizieren freigegeben werden. Man will sogenannte Kollateralschäden verhindern und auch nicht gestatten, dass türkische Verbündete mit Hilfe deutscher Luftbilder Attacken gegen Kurden planen. Im deutschen Kontingent gibt es einen sogenannten Red Card Holder. Der darf Einsatzaufträge der Allianz ablehnen. Ob er es schon mal getan hat, erfährt man nicht. Wohl aber, dass der Airbus, durch dessen Versorgungsschläuche bislang über 17 Millionen Liter Kerosin in die Tanks anderer Jets geflossen sind, wie die vier Tornados nahezu hundertprozentig einsatzklar sind. Die Verbündeten seien sehr zufrieden mit der Qualität »unserer Produkte«, berichtet Oberst Stephan Breidenbach. Er ist der Kommandeur des deutschen Einsatzverbandes, zu dem derzeit 288 Soldaten gehören. Frauenanteil: sieben Prozent.

Major Dominique G., ein junger drahtiger Mann in ockerfarbener Fliegerkombination, ist Chef der Einsatzstaffel und hätte den fragenden Journalisten seinen vollständigen Namen genannt, wäre es ihm nicht aus Sicherheitsgründen untersagt worden. Obgleich selbst Pilot, fliegt er nicht. Ihm fehlt die Tornado-Lizenz, schon vor einigen Jahren hat er auf den Eurofighter umgeschult. Sein Bericht über den aktuellen Einsatz klingt etwas differenzierter: Die Bundeswehr operiert inzwischen fast nur noch im irakischen Luftraum, weshalb die Begegnungen mit russischen Maschinen sehr selten geworden seien. Zudem hätten sich die Aufgaben gewandelt. »Die IS-Kämpfer verlassen Stellungen und Städte, verdrücken sich in Wüstenregionen, geben sich als Beduinen aus,« erklärt der Major und zuckt mit den Schultern, wenn man ihn fragt, wie Piloten einen Beduinen von einem Terroristen unterscheiden können, wenn sie mit extremer Geschwindigkeit und in einer für Ein-Mann-Raketen unerreichbaren Höhen fliegen? Das genau sei das aktuelle Problem, bestätigt G. und sieht so in der fliegenden Anti-IS-Aufklärung langfristig keinen Nutzen.

Das Treffen mit G. und einer Handvoll weiterer Soldaten, bei dem die Ministerin Lob verteilt und im Tagesschau-Format die Notwendigkeit des Einsatzes hervorhebt, geht unter, weil ein US-Cowboy seine F-15 im Tiefflug testet. Zu allem Überfluss wartet ein Hercules-Transporter mit laufenden Turbinen auf die Startfreigabe. Also: Genug Wüste. In der Hauptstadt Amman stehen für den kommenden Morgen weitaus wichtigere Termin an. In Jordanien wartet man - so dringend wie auf Regen - auf ausländische Waffen- und Ausbildungshilfe. Tatsächlich, am Sonntagmorgen schickt der Himmel einige Tropfen. Doch als die bunte Militärkapelle aufmarschiert, lacht die Sonne wieder. Vielleicht, weil die deutsche Hymne mit Dudelsackuntermalung ein wenig anders klingt?

Neben einem fahnengeschmückten Baldachin mit zwei Rednerpulten hat man ein paar der Geschenke aus Deutschland aufgebaut, die von der Leyen übergibt. Insgesamt handelt es sich um 56 Kleinbusse, 70 Lastwagen und zwei Ausbildungsflugzeuge, Mit ihnen soll die Mobilität der jordanischen Sicherheitskräfte vor allem an der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien verbessert werden.

Alles ganz nett, doch im Vergleich zu der Lieferung von 50 »Mardern«, von denen man hier keinen sieht und über die man vor Mikrofonen auch nicht spricht, eher zweitrangig. Die Bundeswehr rüstet im Rahmen der sogenannten Ertüchtigungshilfe zwei Bataillone der jordanischen Armee mit den gebrauchten, aber noch immer kampfstarken Schützenpanzern aus. Selbstverständlich kümmert man sich intensiv um die Ausbildung der Soldaten. Je nach Kommandoebene findet die in Deutschland oder vor Ort statt. So fit für den Einsatz, verlegt man die Truppe unmittelbar an die Grenze zu Syrien und Irak.

Für Waffen, Ausrüstung und Infrastruktur stellte die Bundesregierung im vergangenen Jahr 130 Millionen Euro bereit. In diesem Jahr steht abermals so viel Geld zur Verfügung, versicherte von der Leyen, als sie dem König ihre Aufwartung macht. Das ist viel Geld und doch nur ein Bruchteil dessen, was zum Kampf gegen den Terror, für humanitäre Hilfe und wirtschaftlicher Zusammenarbeit nach Jordanien geflossen ist. Die Rede ist von rund einer Milliarde Euro. Das sei, so von der Leyen, notwendig, damit Jordanien seine »Rolle als Stabilitätsanker in der Region« und als »eine Stimme des Ausgleichs und der Vernunft« weiter wahrnehmen kann.

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