Klima der Angst in Cottbus

Syrische Messerstecher, rechte Demonstranten - und Bürger, die lieber den Mund halten

»Niemand versteht, warum Schutzsuchende in dem Land, das ihnen Schutz gewährt, bewaffnet durch die Straßen ziehen. Darum demonstrieren wir am Donnerstag erneut in Cottbus. Wir wollen im eigenen Land nach unserer Art und in Frieden leben. Deshalb fordern wir ein Ende der unkontrollierten Zuwanderung aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten.«

So steht es in dem Aufruf zu einer Demonstration, die am Donnerstagabend um 19 Uhr vor dem Einkaufszentrum Blechen-Carré in Cottbus beginnen sollte. Organisator war der Ende 2015 gegründete Verein »Zukunft Heimat« mit Sitz in Golßen, der zunächst asylfeindliche Kundgebungen in Städten wie Lübben, Lübbenau und Vetschau veranstaltete und sich mit derartigen Aktivitäten ab Mai 2017 auf Cottbus konzentrierte.

Hintergrund sind zwei Messerattacken vor dem Blechen-Carré. Erst wollten sich syrische Jugendliche am Eingang vordrängeln, und als eine 43-jährige Frau dies nicht zulassen wollte, beschwerten sich die Jugendlichen über angeblich mangelnden Respekt ihnen gegenüber und attackierten den 51-jährigen Ehemann der Frau. Einer der Angreifer zückte dabei ein Messer. Ein Passant kam dem Opfer zu Hilfe. Verständigte Wachleute überwältigten die drei Jugendlichen und hielten sie bis zum Eintreffen der Polizei fest.

Am Mittwochnachmittag ereignete sich dann der zweite Vorfall. Diesmal gab es Streit unter deutschen und syrischen Jugendlichen. Ein 15-Jähriger drückte dabei einen Deutschen gegen eine Straßenbahn und verletzte ihn mit einem Messer im Gesicht. Die Polizei konnte außerdem noch einen 16-jährigen Syrer dingfest machen, dem ebenfalls Körperverletzung vorgeworfen wird.

Im Zusammenhang mit diesem Fall ermittelt die Kriminalpolizei nun auch wegen Geheimnisverrats. In den sozialen Medien sei ein Screenshot von einem Polizeicomputer veröffentlicht worden, auf dem eine Art Einsatzbericht zu sehen war. Dort soll sich ein Zeuge wiedergefunden haben, heißt es. Verantwortlich könne nur jemand sein, der bei der Polizei arbeitet.

Der Verein »Zukunft Heimat« hatte seine Demonstration für 100 Personen angemeldet. Angesichts des angesagten Sturmtiefs »Friederike« rechnete Polizeisprecher Torsten Wendt im Vorfeld damit, dass sich die Teilnehmerzahl in Grenzen halten werde. Die Messerstechereien »spielen denen natürlich in die Hände«, meinte Wendt. »Bei schönem Wetter und 15 Grad würden sicher mehr da sein.« In der Vergangenheit konnte der Verein »Zukunft Heimat« wiederholt mehrere hundert Menschen mobilisieren.

Mit Ausschreitungen rechnete die Polizei nicht. In der Hinsicht habe es mit »Zukunft Heimat« in der Vergangenheit nie Probleme gegeben. Es seien auch keine Gegendemonstrationen angemeldet. Der Verein »Zukunft Heimat«, die AfD und andere bezeichnen Cottbus gern als »Brennpunkt«, in dem sich das Scheitern der Asylpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeige.

Fest steht aber, dass die Gewalt nicht allein von einer Seite ausgeht. So wurde die Polizei am 1. Januar alarmiert, weil deutsche Schläger Flüchtlinge bis in ein Asylheim hinein verfolgt und verprügelt hatten. Die Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle des Moses-Mendelssohn-Zentrum schreibt in ihren jüngsten Mitteilungen, in Cottbus sei es zeitgleich zur Demonstrationskampagne des Vereins »Zukunft Heimat« immer wieder zu rassistischen und rechtsmotivierten Angriffen gekommen. »Die Belastung mit entsprechenden Straftaten liegt weit über dem Landesschnitt«, erklärt Christoph Schulze, Mitarbeiter der Forschungsstelle.

»Das, was hier in Cottbus vorgefallen ist, muss man differenziert betrachten«, findet Linksfraktionschef André Kaun. Stattdessen werde pauschal gegen Flüchtlinge gehetzt. Es traue sich schon kaum noch jemand, etwas dagegen zu sagen. »Weil die Leute Angst haben, dann Ärger zu bekommen.« Es sei selbstverständlich »Scheiße«, mit dem Messer auf Menschen loszugehen, betont Kaun. Andererseits: »Es waren Kinder. Dafür gibt es Gesetze. Es gibt eine Anzeige, eine Anklage und eine Verurteilung.« Nun aber werde der Vater eines minderjährigen Messerstechers gezwungen, mit seinem Jungen aus Cottbus wegzuziehen, und er dürfe sich auch nicht im Umland niederlassen. Das sei doch Sippenhaft, also eigentlich unmöglich. Die Herkunft sollte bei der Beurteilung von Straftaten keine Rolle spielen, meint Kaun. Der Linksfraktionschef will die jüngste Messerattacke nicht herunterspielen. Aber wenn deutsche Jugendliche aufeinander losgehen, werde nicht so ausführlich berichtet, weiß er.

Vorsitzender des Vereins »Zukunft Heimat« ist Christoph Berndt, ein Personalrat der Berliner Universitätsklinik Charité. Früher war Berndt sogar Personalratschef und wegen seines Engagements für die Beschäftigten geachtet - bis im Sommer 2016 antifaschistische Aktivisten ein Transparent an einem Gebäude der Charité anbrachten und Flugblätter mit Hintergrundinformationen verteilten. Berndt wurde dabei als »Rassist« und als »menschenverachtender Hetzer« bezeichnet. Seine Abberufung als Personalratschef wurde verlangt.

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