Ein Gefühl des Abstands zur Parteispitze

Bettina Fortunato, LINKE-Kreisvorsitzende in Märkisch-Oderland, über Bedenken an der Basis

  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Fortunato, Sie sind als LINKE-Kreisvorsitzende wiedergewählt worden. Worin sehen Sie Ihre wichtigsten Aufgaben im Jahr 2018?

Es gilt zunächst, den Kreisverband zusammenzuhalten. Das ist zunehmen schwieriger. Trotz der Neueintritte von zwölf jüngeren Menschen im vergangenen Jahr - unser Kreisverband altert, die Mitglieder sind weniger beweglich. Dennoch sind sie anspruchsvoll, was die Information betrifft. Dem will ich entsprechen.

Mit welchen Fragen kommt man zu Ihnen?

Das sind oft ganz praktische Dinge: Ist der Arzt erreichbar? Gibt es in vertretbarer Entfernung die Möglichkeit einzukaufen? Es kommen aber auch Beschwerden darüber, dass jüngere Leute sich mit ihren Nachbarn nicht mehr unterhalten. Da sage ich: Nicht ich als Kreisvorsitzende, sondern wir alle müssen etwas tun. Zum Beispiel: Ein Gespräch beginnen.

Treten diese Fragen flächendeckend auf?

Eben nicht, der Kreis ist extrem zweigeteilt: Da gibt es den berlinfernen Teil, der sich immer mehr entleert. Bezogen auf Buslinien wäre die Frage zu stellen, ob dort in zehn Jahren noch Menschen wohnen werden. Und da gibt es die Bereiche neben Berlin, also Hoppegarten, Neuenhagen und Hönow zum Beispiel, wo immer mehr Bauland nötig wird, damit die wachsende Einwohnerschaft auch irgendwo unterkommt. Dort wurden in der Vergangenheit zum Teil Schulen geschlossen, für die heute wieder genügend Kinder vorhanden wären. Diese Zweiteilung ist für unsere politische Arbeit bestimmend.

Worauf können Sie sich dabei stützen?

Na ja, obwohl unsere Mitglieder altern - die paar Schritte zum Klub der Volkssolidarität oder ins Bürgerhaus schaffen sie immer noch. Was mir aber Sorgen macht: Das Gefühl, sicher und geborgen zu leben, das nimmt messbar ab. Wenn die Leute den Fernsehapparat einschalten, begegnet ihnen doch nur noch Geschimpfe, und es wird Misstrauen gesät. Angeblich zockt der Staat die Leute nur ab und Ähnliches. Es herrscht ein verbreitetes Angstgefühl, das sich vor allem auf die Kinder und Enkel bezieht. Und - ich bin sozialpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion - da will ich gar nicht drumherum reden: Zum Teil sind Sorgen nicht einfach suggeriert, sondern auch berechtigt. Wie soll jemand, der lange arbeitslos war, eine Rente erwarten, von der man leben kann? Unser Kreis war nie besonders einkommensstark. Menschen mit extrem geringer Rente gehen nicht zum Sozialamt, aus Angst, dass man ihnen beziehungsweise ihren Kindern dann die Häuser wegnimmt. So ist die Lage.

Was kann die LINKE in einer solchen Situation tun?

Wir müssen die Dinge kennen, uns alles anhören und immer zuhören. Es wäre nicht sachgerecht, alles nur schlechtzureden: Auch bei uns gibt es Beratungsangebote, wo vieles gelöst werden kann. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass es diese Möglichkeit nicht nur in den großen Gemeinden gibt. Alle sollen erfahren, wo sie sich Hilfe herholen können. Natürlich muss die Landespolitik diese Dinge im Blick behalten.

Seit vielen Jahren trägt die LINKE die Landespolitik als Regierungspartei mit. Wie wird das an der Basis beurteilt?

Es gibt schon kritische Fragen, es existiert ein Gefühl des Abstands. Das lässt sich nicht leugnen. Die Mitglieder wollen konkret wissen: Was habt ihr gemacht? Eine Schulkrankenschwester ist sicher wichtig, aber nötig sind auch Schulsozialarbeiter. Konkret wurde auch kritisch gesehen, dass ein Finanzminister gleichzeitig Landesvorsitzender der LINKEN ist. Wenn nun Sozialministerin Diana Golze diese Rolle übernimmt, dann heißt es bei nicht wenigen Genossen: Warum wird der Fehler nun wiederholt? Freilich soll es neben Diana Golze noch Anja Mayer als zweite Landesvorsitzende geben. Dennoch gibt es an der Basis Bedenken. Anja Mayer war bei uns im Landkreis und hat diese Bedenken nach Potsdam mitgenommen.

Es gibt aber auch viel Selbstbewusstsein. Unsere Mitglieder sind nicht passiv, sie schreiben auch Briefe an die Landesregierung, in denen sie ihre konkreten Forderungen formulieren. Mehr Geld in die Landesverwaltung zu stecken, ist ja schön und gut. Aber wir brauchen Kita-Erzieherinnen, heißt es zum Beispiel darin. Und Lehrer beschweren sich darüber, dass die fachliche Begleitung der vielen Seiteneinsteiger sie auf Dauer überfordert.

Gibt es konkrete Vorhaben der Kreisvorsitzenden?

Ja, natürlich. Ich möchte beispielsweise, dass die Geschäftsstelle unserer Partei in Strausberg ein Anlaufpunkt wird nicht nur für organisatorische, sondern auch für politische und gesellschaftliche Fragen. In Seelow klappt das mit einem »politischen Dienst« schon ganz gut, zumindest dreimal in der Woche ist vormittags jemand da, der sich mit den Bürgern unterhalten kann. Das möchte ich auch in Strausberg einrichten. Auch liegt mir der Austausch zu Themen am Herzen, die über die Tagespolitik hinausgehen. Neben der Rosa-Luxemburg-Stiftung will ich dafür auch andere Partner der politischen Bildung gewinnen.

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