Russland sperrt offenbar Luftraum für türkische Afrin-Offensive

Syrisches Militär soll im Raum um Idlib und Aleppo Luftabwehrraketen stationiert haben - möglicherweise als Reaktion auf einen abgeschossenen russischen Jet

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Russland hat offenbar den von ihm kontrollierten nordsyrischen Luftraum für die türkische Afrin-Offensive gesperrt. Seit Montag habe es keine Luftschläge von Kampfflugzeugen gegeben, jedoch seien ununterbrochen türkische Drohnen über Afrin unterwegs, sagte Serzad Hisên vom »Informationszentrum des Afrin-Widerstands« am Dienstag dem »nd«. Über ähnliche Beobachtungen hatte zuvor das Online-Beobachtungsprojekt »Syrische Bürgerkriegs-Karte« berichtet. »Es gab laut unseren Kontakten keine türkischen Luftangriffe in Afrin, seit ein russischer Jet in Idlib abgeschossen wurde«, hieß es dort am Dienstagmorgen.

Von türkischer Seite aus wollte man diese Berichte nicht bestätigen. »Die türkische Luftwaffe nutzt den Luftraum über Afrin auf effektive Weise - es gibt kein Problem und wir erwarten auch keine Probleme in der Zukunft«, sagte der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag der staatlichen Nachrichtenagentur »Anadolu«.

Im Widerspruch zu dieser Erklärung könnten jedoch jüngste Äußerungen des syrischen Militärs stehen. »Die Syrische Armee hat Luftabwehrraketen zu den Frontstellungen in Aleppo und Idlib gebracht«, erklärte ein Assad-loyaler Kommandeur am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. »Diese Waffen schützen den Luftraum im syrischen Norden«, teilte der Befehlshabende in einer »Nachricht an alle« mit - womit möglicherweise speziell die Türkei gemeint ist.

Zu Beginn der türkischen Offensive hatte die syrische Regierung bereits damit gedroht, Ankaras Flugzeuge im syrischen Luftraum anzugreifen - bisher ließ sie jedoch die türkischen Militärverbände und ihre Verbündeten der Freien Syrischen Armee gewähren.

In der nordsyrischen Enklave selbst hat Damaskus indes offenbar keine Luftverteidigung aufgebaut. »In Afrin wurden keine Luftabwehrsysteme vom syrischen Regime installiert und auch sonst sind keine Regimekräfte vor Ort«, sagte Serzad Hisên.

Der verschärfte Ton zwischen Ankara und Damaskus könnte mit einem Zwischenfall vom Wochenende zusammenhängen. In Idlib hatten islamistische – und möglicherweise von der Türkei unterstützte – Rebellen am Samstag ein russisches Flugzeug abgeschossen. Der Pilot sei mit einem Fallschirm aus seinem Flugzeug abgesprungen, teilte Rami Abdel Rahman von der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Abschuss. Der Pilot habe sich aus der Maschine katapultiert, er sei aber später im Kampf gegen »Terroristen« getötet worden, so das Ministerium in Moskau.

Nach eigenen Angaben schoss die aus dem Terrornetzwerk Al Qaida hervorgegangene Miliz HTS den russischen Jet ab. Woher diese schultergestützte Boden-Luft-Raketen erhalten hat, ist unklar. Nach russischen Angaben könnte es sich um die Flugabwehrrakete Strela sowjetischer Konstruktion oder das US-Modell Stinger gehandelt haben.

Der Abschuss des Jets könnte die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei wieder verschärfen, nachdem es zu Beginn des Afrin-Einmarsches noch so aussah, als hätten sich beide Mächte auf ein Vorgehen geeinigt. Beobachter gehen davon aus, dass Russland der Türkei zum Start der Offensive die Lufthoheit über Afrin überlassen hatte, da es zeitgleich in dem selbstverwalteten Kanton stationierte Militärbeobachter abzog. Möglicherweise hatte sich die Türkei - ein Hauptunterstützer der bewaffneten syrisch-arabischen Opposition - im Gegenzug dazu bereit erklärt, eine Offensive des von Moskau unterstützten syrischen Regimes auf die Rebellenbastion Idlib zu dulden.

Diplomatisch erhielt die Türkei jüngst zusätzlich einen weiteren Rückschlag: Der Iran - ein Verbündeter von Damaskus und Beteiligter in den Astana-Friedensgesprächen - erhob am Montag ebenfalls seine Stimme gegen den Einmarsch. »Das türkische Vorgehen kann Sicherheitsprobleme, Instabilität und Terrorismus zurück nach Syrien bringen«, sagte Bahram Qasemi, Sprecher des iranischen Außenministeriums, gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA.

Tausende Bewohner der Nordsyrischen Föderation hatten sich derweil seit Sonntag in Konvois auf den Weg gemacht, um Afrin zu erreichen. Dabei konnten sie offenbar auch vom syrischen Regime gehaltene Gebiete durchqueren. Am Dienstag soll der Hauptteil der Karawane laut Beobachtern die Stadt erreicht haben. Die multiethnischen Teilnehmer - darunter Araber, Kurden und Assyrer - sollen unter anderem aus den Ortschaften Kobane, Minbidsch, Raqqa, Cizîrê und Deir el Zor stammen. »Der Konvoi wurde wärmstens empfangen und ist eine historische Aktion«, meinte Serzad Hisên. »Anstatt vor dem Krieg zu fliehen, wird der Widerstandswille der Bevölkerung durch Tausende, die aus anderen Regionen anreisten, unterstützt.«

Am Dienstag kam es laut dem »Informationszentrum des Afrin-Widerstands« zu Großdemonstrationen gegen den türkischen Krieg in der Innenstadt von Afrin, wie auch in Jindares. Die im Randgebiet des Kantons liegende Kleinstadt war durch türkische Luftangriffe schwer zerstört wurden.

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