Eine Charaktermaske zum Knuddeln

Eine Doku fragt: Was ist der Mensch wert?

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Mann sitzt vorm stumm laufenden Fernseher, es spielt Musik. Er liebe den Kontrast, sagt er. Natürlich, sein Beruf ist ja die Vermittlung. Was er nicht sagt: Die Musik überspielt den Ton. Endlich wird nicht mehr geredet. Leider hört er dabei nicht auch selbst auf zu reden. Was tut Ken Feinberg? Man ruft ihn, wenn Lagen eingetreten sind, deren juristische Folgen auch für Konzerne fatal wären. Das ist die erste Pointe, die sich der Dokumentation entnehmen lässt. Solange Tausende Arbeiter oder kleine Konsumenten in Not geraten, bedarf es keiner Vermittlung. Die wird erst dann nötig, wenn auch Konzerne betroffen sind. Gegründet wird dann ein Fond, bezahlt vom Staat natürlich.

Feinberg ist kein Vermittler, er schützt große Unternehmen vorm Gegenschlag der von diesen Geschädigten. Auch er aber will Mensch bleiben, und so nah, wie die Kamera ihm hier kommt, wirkt er nicht einmal unsympathisch. Er öffnet sein Herz, ist aufgeräumt, verbindlich. Kein Ressentiment kommt aus seinem Mund. Eine Charaktermaske zum Knuddeln. Die Grausamkeit wird nicht geleugnet, aber Herrgott: »So funktioniert das System!« Die Blase platzt bereits im ersten Drittel, das vom juristischen Nachspiel der Anschläge vom 11. September handelt. Im Auftrag der Regierung entwickelt Feinberg eine Formel, derzufolge das Leben eines Bankers mehr Entschädigung wert ist als das eines Feuerwehrmanns.

Nirgends zeigen sich die beiden großen Schwächen dieser übrigens sensibel und szenisch schön gesetzten Dokumentation deutlicher. Die erste Schwäche liegt darin, dass die gesamte Darstellung bloß mimetisch ist. Es reden ausschließlich involvierte Subjekte, es gibt keinen Kommentar, keine sprachliche Hinführung. Die Filmemacherin kann sich hinter die Figuren zurückziehen. Das kann aber nur glücken, wo das Verhältnis der sprechenden Subjekte sinnvoll arrangiert ist, wie im Spielfilm, oder dort, wo die Subjekte auf Augenhöhe sind. Feinberg steckt alle in die Tasche, »Playing God« bleibt asymmetrisch.

Und darin liegt die zweite Schwäche des Films. Die Kollision lügt sich um zum Kampf zwischen Vernunft und Gefühl. Feinberg als Sachwalter der Öffentlichkeit; die begreife seinen Job, die Betroffenen täten dies naturgemäß nicht immer. Das System, heißt das, ist objektiv, die unter ihm Leidenden sind subjektiv. Die Irrationalität des Systems selbst steht nicht zur Verhandlung. Dass der Wert eines Menschenlebens überhaupt taxiert wird, erscheint erst in einer Gesellschaft natürlich, die alles in Wert verwandelt. Und hoffnungslos verwoben ist damit die tatsächlich objektive Notwendigkeit einer Entschädigungszahlung, statt die jeweilige Höhe der Entschädigung in den einzelnen Fällen gegeneinander abzuwägen. Dieses innere Gebrechen bleibt in »Playing God« unverhandelt.

»Playing God«, Deutschland 2017. Regie: Karin Jurschick, Drehbuch: Karin Jurschick und Birgit Schulz, 90 Min.

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