Billigräder fluten das Zentrum

Sieben Leihanbieter tummeln sich inzwischen auf den Straßen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Sinnvolles Angebot oder materialisierter Wahnsinn der Start-Up-Wirtschaft? Leihräder des chinesischen Anbieters moBike vor dem SEZ
Sinnvolles Angebot oder materialisierter Wahnsinn der Start-Up-Wirtschaft? Leihräder des chinesischen Anbieters moBike vor dem SEZ

Eines Morgens waren sie da. Ordentlich in Fünfergruppen aufgereiht standen die orangefarbenen Fahrräder des Verleihers moBike an jeder zweiten Friedrichshainer Kreuzung. Die Nutzung ist ganz einfach: App für das Smartphone herunterladen, anmelden und schon kann die Fahrt losgehen. Ohne Gangschaltung und mit Vollgummireifen ausgestattet ist das Fahrgefühl aber eher etwas für Hartgesottene.

Neben moBike tummeln sich mit oBike, ofo, byke, Donkey Republic Bikes und Lidl-Bikes insgesamt sechs eigenwirtschaftliche Anbieter mit einigen Tausend Rädern auf dem Berliner Markt. Wenn sie die Ankündigungen wahr machen, könnten es Zehntausende werden. Und das alles neben den knapp 2800 Fahrrädern des vom Senat beauftragten Anbieters nextbike, die an 182 festen Stationen in sieben Bezirken bereitstehen.

Die Sorge geht um in der Hauptstadt, dass Münchner Verhältnisse drohen. Innerhalb kurzer Zeit verteilte das Unternehmen oBike aus Singapur fast 7000 Räder in der Stadt. Genervte Anwohner stapelten sie zu Riesenhaufen, damit sie aus dem Weg sind. Vandalen fanden noch kreativere Lösungen. »Das kann das durchdachte Bike-Sharing-System, das für viel Geld aufgebaut wird, in Misskredit bringen«, fürchtet Martina Hertel, Mobilitätsexpertin des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIfU). 1,5 Millionen Euro Zuschuss erhält nextbike jährlich vom Senat. Andererseits verweist sie auf die Zahlenverhältnisse: »Selbst wenn bald 30 000 Leihräder auf den Straßen sind, stehen sie rund 1,2 Millionen Pkw gegenüber.«

»Die Befürchtungen zeigen vor allem, dass nach wie vor nicht ausreichend Fahrradabstellplätze gibt«, sagt Denis Petri vom Fahrrad-Volksentscheid. »Wir hatten immer gefordert, dass die Flächen dafür nicht von den Bürgersteigen, sondern von den Fahrbahnen abgeknapst werden«, so Petri. »Wegen der konkurrierenden Nutzungsansprüche in der Innenstadt lässt sich das allerdings nicht über Nacht umsetzen«, gibt Hertel zu bedenken.

Doch anscheinend haben die Anbieter gelernt. Solange nicht mehr als fünf Räder auf einem Fleck stehen, geht man beim Senat vom sogenannten Gemeingebrauch des Straßenlandes aus, für die keine Genehmigung erforderlich ist. »Wir sind dabei, einen Leitfaden für die Bezirke zu entwickeln«, sagt Matthias Tang, Sprecher der Verkehrsverwaltung.

Die Stadt Köln hat einen recht umfangreichen Katalog mit Verbotszonen für die Aufstellung von Leihrädern sowie weitreichenden Qualitätsvorgaben erarbeitet. »Wie rechtssicher das ist, kann ich nicht beurteilen«, so Hertel.

Generell stoßen die aggressiv auftretenden Start-ups aus dem asiatischen Raum, wie moBike aus China, auf Skepsis. »Es werden Massen an Billigrädern in den Markt geschoben, die nicht gebraucht werden«, kritisierte Georg Honkomp, Vorstandsvorsitzender der Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft, unlängst. »Da ergeben sich Berge an Aluminiummüll.« Unklar ist bei den neuen Anbietern auch, was mit den über die Smartphones erhobenen Daten passiert. Im Gegensatz zu nextbike und Lidl-Bike werden dort auch Bewegungsprofile gespeichert.

Wie tragfähig das Geschäftsmodell der neuen Anbieter überhaupt ist, muss sich noch zeigen. Noch pumpen Investoren viele Millionen Euro in die Unternehmen. In China mussten bereits mehrere Firmen aufgeben. »Wir sehen für Räder mit Vollgummibereifung und ohne Gangschaltung in Deutschland nicht wirklich eine Perspektive«, sagt Hertel.

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