Ollis Olympia

Oliver Kern spürt, wie die Koreaner immer sportlicher werden.

Ich habe mich zum ersten Mal in einem Bus angeschnallt. Ich weiß natürlich, dass das sinnvoll ist, aber bislang hatte ich Gurte in Reisebussen trotzdem nur belächelt. Ich war auch einer der Letzten, die Helme beim Fahrrad- oder Skifahren aufsetzten. Ich bin eben ein Draufgänger! Nun gut, wohl eher faul mit einem leichten Hang zur Selbstüberschätzung.

Aber egal, kurz nachdem ich nachts um halb eins in Pyeongchang in den Bus gestiegen war, der mich von der Schanzenanlage zurück ins Mediendorf nach Gangneung fahren sollte, waren Müdigkeit und Faulheit bei der ersten Vollbremsung des Busfahrers schnell verflogen. Ich hatte bereits in den Tagen vorher festgestellt, dass die Jungs am Steuer mit der Zeit immer schneller werden. Dieser hier aber hatte es besonders eilig. Warum? Das weiß ich immer noch nicht genau. Denn seine Schicht war danach noch lange nicht zu Ende.

Als wir mit quietschenden Reifen um den Kreisverkehr heizten, begann ich mir jedenfalls zusammenzureimen, dass den Mann bei all den olympischen Wettbewerben, die er den ganzen Tag auf dem Fernseher über ihm verfolgt, wohl selbst das Rennfieber gepackt haben musste. Vielleicht gibt es auch eine WhatsApp-Gruppe, in der die Fahrer ständig ihre neuen »Bahnrekorde« den anderen unter die Nase reiben. Die Straßen waren jedenfalls leer, und es schien die beste Chance für eine neue Bestmarke zu sein.

Für die Fahrt sind laut Plan 50 Minuten angesetzt. In dieser Nacht schaffte sie mein Fahrer in 26. Ich hatte überlebt und war ihm plötzlich sogar dankbar, dass ich nun noch die Möglichkeit hatte, das verpasste Abendessen nachzuholen. Daraus wurde dann aber doch nichts. Drei Minuten früher, als an der Tür der Mensa steht, schloss sich diese direkt vor mir. Auch die Freiwilligen hier werden also schneller. Bei ihren Arbeitsbedingungen konnte ich ihnen aber nicht böse sein, ein paar Minuten früher ins Bett kommen zu wollen. Ich ging also hungrig schlafen und nahm mir eins vor: Sollte ich morgen denselben Busfahrer noch mal antreffen, werde ich ihn bitten, dass er sich dieses Mal beeilt.

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