Bauchmuskeln

  • Lesedauer: 3 Min.

Wer diese Welt betritt, muss einen weißen Nebel durchschreiten, dann türmen sich monströse Wände auf. Wände mit bunten Knubbeln dran. Dazu der wummernde Bass fein ausgewählter Elektrobeats. Hat man sich den Weg durch den Schleier aus Magnesia gebahnt, eröffnet sich ein hippes Phantasialand, bewohnt von Menschen, die an Wänden kleben. Obwohl, nicht alle kleben, einige fallen von den Knubbeln herunter, andere sitzen rum und beobachten, lauern darauf, wann wieder einer abstürzt, dann sind sie nämlich dran, sich an die Knubbel zu heften.

Die Boulderhalle Ostbloc in Rummelsburg ist ein Basar der Körperbeherrschten. Und nun wir. Zum ersten Mal hier und gierig darauf, die erste gelbe Knubbelstrecke zu klettern (Anfängermodus). »Frei sein, high sein, Magnesia muss dabei sein«, so geht der Dreisatz im Sportklettern, den hier alle beherrschen. Es wird hemmungslos ins Chalk-Bag (ergoogelter Fachausdruck für den Pulverbeutel) gegrabbelt, bis der feine weiße Staub an den Händen jeden Schweißtropfen amortisiert, der die Hände glitschig macht. Der verflüchtigte Rest des Chalks hängt in Schwaden über den Turnmatten, die auf dem Boden ausliegen.

Worum es geht? Völlig auf sich allein gestellt an eine beschichtete Multiplexwand geklatscht, nur ein paar Boulder (Knubbel), um sich den Weg bis nach oben zu erhangeln. Kein Seil, das einen hält. Es geht darum, sich und die Angst vor dem Fallen zu überwinden. Dachten wir. Anderen geht es um was anderes. Lauscht man den Gesprächen derer, die neben einem auf der schwarzen Strecke (Schwierigkeitsgrad »zornig«) kleben und derer, die ihnen von unten Tipps zurufen, geht es auch um was anderes. »Die Strecke ist geil, ohne Bauchmuskeln geht die nicht.« Das Wort »Bauchmuskeln« hören wir an diesem Freitagabend noch drei Mal. Sie scheinen beim Bouldern irgendeine wichtige Bedeutung zu haben.

Eigentlich macht Bouldern sehr viel Spaß, es hat etwas von der Sport gewordenen Variante von Ritalin. Totale Konzentration, man lässt nichts zu, das ablenkt, sonst fällt man vielleicht. Dabei immer mit der Nase an der Wand, an der Stelle, an der bestimmt schon 100 andere mit ihrer geklebt haben und darüber nachgedacht haben, wer da mit der Nase schon mal dran war.

Das Publikum allerdings ist eigenartig. Ein ganz anderes als beim Klettern. Der Kategorisierung liegt ein wichtiger Unterschied zugrunde. Zum Klettern braucht es zwingend einen Partner, der den Kletterer am Seil sichert, Bouldern, ohne Seil, geht alleine, die volle Egonummer. Nur Du und die Bauchmuskeln. Beim Klettern herrscht der Typ Erdkundelehrer vor, beim Bouldern der Typ »mit Sonnenbrille ins Berghain«. Während also in der Kletterhalle vor allem die zu finden sind, denen man auch ein gemietetes Gemüsebeet oder eine eigene Bienenkolonie auf dem Balkon zutraut, sind in der Boul᠆derhalle Leute, die Zeit haben, sich beim Festkrallen am Knubbel auf die Oberarmmuskeln zu gucken.

Nach zwei Stunden ist die Nase verstopft vom eingeatmeten Puder. Mit angespannten Bauchmuskeln geht’s direkt weiter ins Sisyphos gegenüber.

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