Wieder Lust auf Handschrift

Schon totgesagt erlebt das »Schönschreiben« eine Renaissance

  • Jens Albes, Koblenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Deutschland ist digital und tippt auf Tastaturen und Touchscreens. Stirbt die Handschrift aus? Nein. Viele sprechen von einem kleinen Gegentrend zu Computerbuchstaben: Aufsteller vor Geschäften, Tafeln vor Cafés und Empfehlungen in Buchhandlungen sind heute oft von Hand beschriftet. Stiftehersteller freuen sich über den Trend des »Handlettering«, der kunstvollen Schönschrift mit der Hand, und über einen neuen Boom der Füller.

»Ich bekomme Anfragen von Lokalen, Bäckereien und Burger-Läden, ihre Tafeln schön zu gestalten. Das Bewusstsein für die Handschrift kommt langsam zurück«, sagt die Mainzer Illustratorin Annika Sauerborn alias »Frau Annika«, Autorin von Büchern über »Handlettering«.

Silke Böhme, Buchhändlerin bei Hugendubel in Wiesbaden, erklärt an einem Buchregal mit zahlreichen kleinen Zettelchen: »Unsere Buchempfehlungen sollen persönlich rüberkommen, deshalb schreiben wir sie mit der Hand. Wenn die Kollegen wollen, schreiben sie auch ganz bewusst ihren Namen dazu.«

Die Sprecherin des Stifteherstellers Faber-Castell in Stein bei Nürnberg, Sandra Suppa, sagt: »Die individuelle, persönliche Handschrift drückt für den Empfänger eine hohe Wertschätzung aus, so dass persönliche Gruß- und Einladungskarten sowie Postkarten derzeit ein ungewöhnliches Revival erleben.«

Über kräftiger klingelnde Kassen beim Stifteverkauf freut sich auch der Geschäftsführer des Industrieverbands Schreiben, Zeichnen, Kreatives Gestalten (ISZ) in Nürnberg, Manfred Meller. Die neue Begeisterung vor allem für Füller, auch bei jungen Leuten, dauere schon ungefähr fünf Jahre an. »Vorher waren Füllhalter jahrelang etwas rückläufig.« Von 2012 bis 2016 sei der Wert der jährlichen deutschen Füllerproduktion von 40 auf 74 Millionen Euro gestiegen.

»Noch vor 20 Jahren hatten wir schwer zu kämpfen«, erinnert sich Meller. Grund seien ein Boom billiger Produkte aus Asien und die Digitalisierung der Büros gewesen. Dann sei es für die Branche wieder bergauf gegangen: »Wir haben nun wirklich eine gute Konjunktur.« Beim Hype um Ausmalbücher für Erwachsene habe es sogar Sonderschichten gegeben. Inzwischen ist dieser Trend allerdings wieder abgeflaut.

Dafür kommt »Handlettering«. Dieser Trend ist laut der Faber-Castell-Sprecherin Suppa noch nicht so prägnant wie die Lust am Ausmalen. Sie vermutet aber, »dass er vielseitigere Einsatzmöglichkeiten bietet und somit von längerer Dauer ist«. Seine Fans hätten die Möglichkeit »des meditativen Versinken, des kreativen Flows«.

»Handlettering« ist ein buntes Spiel mit Buchstaben, oft verschieden groß oder mit unterschiedlichen Formen und Schriftarten, mit Schnörkeln, Verzierungen und Symbolen. »Frau Annika« erklärt in ihrem Atelier voller Stifte, Papierbögen und Skizzen im Mainzer Nordhafen: »Das hat nicht so sehr mit Schreiben zu tun, sondern mit Zeichnen.« Viele wollten wieder mehr mit den Händen machen und freier werden von Bildschirmen. »›Handlettering‹ sieht einfacher aus als es ist. In Workshops wissen viele gar nicht mehr, wie alle Buchstaben in Schreibschrift aussehen«, ergänzt die Illustratorin.

Der Schreibgeräte- und Kosmetik-Hersteller Schwan-Stabilo in Heroldsberg nahe Nürnberg hat kürzlich auf die rasche weltweite Verbreitung von Trends wie »Handlettering« durch soziale Netzwerke hingewiesen. Auch davon profitiere die Branche.

Ulrich von Bülow, Ableitungsleiter im Deutschen Literaturarchiv Marbach nahe Stuttgart, weist auf Schriftsteller hin, die heute noch bewusst mit der Hand schreiben, beispielsweise Peter Handke und Martin Mosebach. »Das ist eine andere, diszipliniertere Art des Schreibens. Man kann nicht wie am Computer beliebig oft korrigieren«, erklärt der promovierte Germanist.

In Mannheim haben 2017 zum 500. Jahrestag der Reformation 606 Menschen die aktuelle Luther-Bibel mit der Hand abgeschrieben. Fünf Bände mit insgesamt 3626 Seiten sind so entstanden: »Viele haben eine wunderschöne Schrift, und wir freuen uns auch über die tollen Kinderzeichnungen«, hat der örtliche Pfarrer Stefan Scholpp gesagt.

Auch in anderen Ländern gibt es die Liebe zu individuellen Buchstaben. Meghan Markle, US-amerikanische Verlobte des britischen Prinzen Harry, hat in einem Interview gesagt, sie habe einst mit ihrer schönen Handschrift, zum Beispiel für Hochzeiten, Geld verdient: »Handschriftliche Briefchen sind eine verlorene Kunstform.«

Apropos »verloren«: Es gibt auch Bereiche, wo die Bedeutung der Schreibschrift im Zuge der Digitalisierung noch weiter zurückgeht, etwa in der Schule. Vor wenigen Jahren hat Finnland mit der Ankündigung Schlagzeilen gemacht, für Schüler das Tippen auf Tastaturen in den Vordergrund zu rücken.

Der Germanist von Bülow sagt: »Auch in Deutschland geht die Tendenz dahin, Schreibschrift mit weniger Nachdruck zu lehren. In den Schulen, die ich durch unsere Kinder kenne, können die Lehrer nach einiger Zeit die Handschrift ihre Schüler nicht mehr entziffern. Anstatt es ihnen besser beizubringen, bitten sie dann einfach darum, zur Druckschrift zu wechseln. Das finde ich schade.« dpa/nd

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