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Verbündeter Feind

»The Looming Tower« erzählt die Vorgeschichte der Anschläge vom 11. September

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Afghanistan 1998, irgendwo am Hindukusch: Im Getümmel orientalisch gekleideter Menschen wandert ein altes Buch von Hand zu Hand. Die Absender schauen verschlagen, ihre Adressaten ebenso, es wummert verschwörerisch der Hintergrundsound. Keine Frage: das Werk enthält mehr als Worte! Als es am Ende der Reise geöffnet wird, kommt folgerichtig etwas zum Vorschein, das ein bärtiger Mann vermutlich islamischen Glaubens in den Rechner schiebt. Bingo! Finden auch bewaffnete Polizisten, die ins Zimmer stürmen und den Datenträger beschlagnahmen. Mission accomplished.

Für den Moment. Denn die Festplatte mag einen Filmschnitt später beim CIA in New York landen, wo sie ein bärtiger Mann eher christlichen Glaubens entgegennimmt und der Botin zufrieden »gutes Mädchen« zuhaucht. Seine Mission war damit keinesfalls erfolgreich - sie geht erst richtig los. In einer Serie, die ab Freitag auf Amazon Prime läuft und eigentlich zu irre ist, um wahr zu sein. Basierend auf dem gleichnamigen Sachbuch von Lawrence Wright lässt »The Looming Tower« (deutsch: »Der Tod wird euch finden«) den 11. September 2001 im erschreckend neuen Licht erscheinen: Als Folge einer Fehde unter Verbündeten, denen die eigene Eitelkeit oft wichtiger war, als den folgenschwersten Terroranschlag der Geschichte gemeinsam zu stoppen. Allen voran: Michael Scheuer, der mit dem Bart und der Festplatte.

Bei Amazon heißt er Martin Schmidt. Was er getan hat, scheint jedoch weitestgehend belegt. Als Chef einer verschwiegenen Abteilung namens »Alec Station« will der erfahrene CIA-Agent das frühe Wissen über Al-Qaida mitsamt der erbeuten Festplatte auf keinen Fall mit John O’Neill teilen, der seinerseits die Terrorabwehr des benachbarten FBI in New York leitet. Letzterer wird gespielt von Jeff Daniels, der seinem Alphatier die freundliche Rüpelhaftigkeit eines Actionfilmhelden verleiht, während sein Gegner (Peter Sarsgaard) wie ein Verkäufer im Krämerladen ums Eck daherkommt. Genau diese Verschiebung habitueller Kodierungen macht »The Looming Tower« so grandios.

Während das gewaltige Ego des leisen, fast scheuen, scheinbar feinfühligen Schmidt jede noch so zarte Kooperation mit argloser Intriganz torpediert, mag der breitbeinige Zigarrenraucher O’Neill zwischen den Visiten dreier Affären lustlos die Kinder ins Bett bringen, jedes dritte Wort mit »Fucking« garnieren und überhaupt das Zartgefühl eines Kampfhundes haben - beruflich ist er der Gute, dem glaubhaft am Wohlergehen seines Landes und nicht (nur) am eigenen Renommee gelegen ist. Inhaltlich erinnert das durchaus an die Showtime-Legende »Homeland«, atmosphärisch hat Amazon hier etwas sehr Eigensinniges, Zeitgemäßes und dabei Unterhaltsames kreiert.

Nach Dan Futtermans Drehbuch macht Showrunner Alex Gibnea aus der dokumentarischen Vorlage über zwei rivalisierende Geheimdienste schließlich ein Lehrstück über Männer mit viel zu viel Macht, Mumm und Testosteron, aber viel zu wenig Empathie, Teamgeist und Frauen, die ihnen beides nachhaltig eintrichtern. Weil das vor allem bei Martin Schmidt alias Michael Scheuer damals gehörig misslungen sein muss, waren die Konsequenzen für seinen erklärten Feind daher fatal. Entnervt vom ewigen Beschuss seines Kollegen von der CIA und wegen seiner Eskapaden ins Abseits gestellt, verließ er das FBI im Sommer 2001 und trat kurz darauf einen anderen Job an: Als Sicherheitschef vom World Trade Center. Wenige Tage später flogen Osama Bin Ladens Flugzeuge in die Zwillingstürme. John O’Neill wurde darunter begraben.

Verfügbar auf Amazon

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