Offener Streit um die Ostseepipeline

Nord Stream 2 entzweit Politik und Wirtschaft zwischen den EU-Staaten - und nun auch in Deutschland

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Gestritten wird mittlerweile auf offener Bühne. »Nord Stream 2 schadet Europa«, schrieben Reinhard Bütikofer (Grüne), Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sowie weitere FDP- und CSU-Abgeordnete aus Europaparlament und Bundestag in einem in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« veröffentlichten Brief. Kürzlich konterte eine »kleinere« Koalition von Politikern aus SPD und Union in einem offenen Brief mit der Überschrift: »Nord Stream 2 stärkt Europa.«

Die Pipelinegegner führen als Argument die vermeintlichen nationalen Interessen Polens, der baltischen Staaten und der Ukraine an. Diese Länder sähen ihre (Energieversorgungs-)Sicherheit direkt oder indirekt »bedroht«, heißt es im Bütikofer-Papier. Der Bau einer zweiten Leitung durch die Ostsee spalte die EU. Deutschland müsse Solidarität mit den östlichen Nachbarn zeigen. Solche Solidaritätsbekundungen stoßen hingegen auf Wirtschaftsinteressen: Deutschlands Versorgung hängt an den russischen Pipelines - durch sie fließen laut dem Energieverband BVEG 40 Prozent des hierzulande verbrauchten Erdgases. Bei Erdöl und Steinkohle ist der russische Anteil ähnlich hoch.

Bis zur Fertigstellung der ersten Nord-Stream-Pipeline 2011 strömte das Gas aus Sibirien vornehmlich durch die über 4000 Kilometer lange Jamal-Leitung über Polen bis nach Deutschland. Seit 1963 fließt sibirisches Öl durch die Leitung Freundschaft - ebenfalls über Polen nach Schwedt. Auch über die Ukraine liefert Russland in die EU.

Politisch haben die Regierungen in Warschau und Kiew also bislang den Daumen drauf, wenn es um die russischen Exportschlager geht. Obendrein sind die Leitungen ein Devisenbringer: Allein die Ukraine soll 2018 für die Durchleitung russischen Erdgases zwei Milliarden Euro kassieren.

Die neuen Probleme, die Nord Stream 2 für Polen und die Ukraine mit sich brächte, sehen auch die Briefschreiber der »kleinen« Koalition um den designierten Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Daniel Caspary (CDU). Doch sie zielen wie die EU darauf, die Gasversorgung zu »diversifizieren« - sowohl hinsichtlich der Quellen wie der Transportwege. Je mehr Gas auf den europäischen Markt fließe, desto größer sei die Liquidität und das bedeute mehr Konkurrenz. »Mehr Wettbewerb führt zu sinkenden Preisen, von denen alle Verbraucher profitieren« - selbst die in der Ukraine und in Polen, versprechen die Autoren.

An dieser Stelle kommen die mit beiden Ländern verbandelten USA ins Monopoly-Spiel. Mehr oder weniger verdeckt intrigiert die Regierung von Präsident Donald Trump gegen Nord Stream 2. Allen Umweltbedenken zum Trotz will Trump mehr Gas aus nicht-konventionellen Lagerstätten »fracken« lassen. Seit kurzem sind die USA - jahrzehntelang der größte Importeur weltweit - zum Exporteur von Öl und Gas geworden. Auf Frachtern wird verflüssigtes US-Erdgas (LNG) in alle Welt verschifft. In der EU gibt es inzwischen über 30 LNG-Terminals, wobei aber Katar und Algerien die Hauptlieferländer sind. Eine weitere Pipeline würde auch die Geschäfte der US-Energiekonzerne stören.

Über die Zulassung für das 55 Kilometer kurze erste (deutsche) Teilstück von Nord Stream 2, die das Bergbauamt Stralsund im Januar erteilte, freut sich zunächst Gazprom. Dem russischen Sponsor des Fußballbundesligisten Schalke 04 - auch hier hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) seine Finger im Spiel - gehört der Bauherr, die Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Unternehmenssteuerparadies Zug. Ab 2020 will Gazprom Gas liefern, für die Durchleitung kassieren und im westeuropäischen Endkundengeschäft weiter vordringen. Aus kartellrechtlichen Gründen schieden die anderen Gesellschafter aus. E.on (heute Uniper) und Wintershall aus Deutschland, die britisch-niederländische Shell, die österreichische OMV und die französische Engie übernehmen aber je zehn Prozent der Baukosten von geplanten 9,5 Milliarden Euro.

Mittlerweile hat der Naturschutzbund Deutschland Klage beim Oberverwaltungsgericht Greifswald Klage eingereicht. Die Umweltorganisation fürchtet, dass die Leitung erhebliche Schäden im Meer anrichten kann. Auch in Skandinavien wurden kritische Stimmen laut. In Dänemark verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das dem Außenminister bei durch dänische Gewässer führenden Infrastrukturprojekten ein Vetorecht einräumt, falls diese nicht den außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Interessen des Landes entsprechen. Anlass der Initiative war das Nord-Stream-2-Projekt.

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