Mein Kamp

Die Leipziger Buchmesse 2018 war geprägt vom Ringen um den Begriff der Meinungsfreiheit

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Wetter dient der Literatur zuweilen als Indikator einer Stimmung oder als bedeutungsvoller Hintergrund der sich anbahnenden Handlung. Die Leipziger Buchmesse, die seit Jahr und Tag den Bücherfrühling einzuläuten verspricht, war in diesem Jahr gezeichnet von winterlicher Kälte und Unmengen Neuschnee. Selbst für eherne Rationalisten, die in Witterungszufällen beim besten Willen kein Zeichen der Zeit erkennen können, schlug sich das Winterwetter in den Messehallen nieder. Nicht nur, dass vom Dachgewölbe der Glashalle Wasser auf die Köpfe der Besucher tropfte, nein, es mussten auch zahlreiche Veranstaltungen aus dem üppigen Lesungs- und Debattenprogramm gestrichen oder umdisponiert werden, weil die Autorinnen und Diskutanten die Messe gar nicht erreichten: Der Leipziger Hauptbahnhof war am Sonnabend zeitweise komplett vom Zugverkehr abgekoppelt - schlecht nicht nur für die Besucherstatistik, die so gern von Rekord zu Rekord hechelt.

Eine derjenigen, die es nicht zum Ziel geschafft hatten, war die Journalistin Anja Goerz. Die Moderation einer Gesprächsrunde mit dem Titel »Meinungsfreiheit als Kampfbegriff« übernahm an ihrer Stelle der Verleger Christoph Links. Zur Debatte stand hier der Konflikt, der diese Messe in all ihrer Stimmenvielfalt wie ein undichtes Glasdach thematisch überwölbte: Wie umgehen mit den rechten Verlagen, die auf den Buchmessen in Frankfurt und nun in Leipzig politische Propaganda betreiben? Wie der Meinungsfreiheit zu ihrem Recht verhelfen, ohne sie gleichzeitig auszuhöhlen?

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Leipziger Buchmesse: Aktivist*innen konfrontieren rechte Verlage mit Meinungsfreiheit

In der Theorie, so Links eingangs, ist die Meinungsfreiheit durch die internationale Erklärung der Menschenrechte und durch das Grundgesetz garantiert. Spannend indessen sei der Umgang mit ihr, »wenn es konkret wird«.

Konkret war es bereits auf der Frankfurter Buchmesse vor einem halben Jahr geworden, als die Messeleitung eine Veranstaltung des rechten Antaios-Verlags vorzeitig abbrach, nachdem es zu heftigen Tumulten gekommen war. Zuvor sollen die Stände rechter Aussteller attackiert worden sein und es hat tätliche Angriffe auf linke Zwischenrufer gegeben. In einer von der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen initiierten »Charta 2017« wurde dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der friedliche Proteste befürwortet hatte, nach der Messe vorgeworfen, »zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit« auszuhöhlen und »unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz« zu leben.

Zu den Erstunterzeichnern der »Charta« gehörte damals auch der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp, der nun kurz vor der Leipziger Buchmesse durch Pegida-nahe Äußerungen auf einem Podiumsgespräch - und die anschließende Distanzierung seines Verlages Suhrkamp - in den Fokus der Debatte rückte. Suhrkamp, Tellkamp. Mein Kamp, dein Kamp. So etwa ließen sich im Vorhinein die Fronten umreißen, an denen in Leipzig wohl gefochten werden würde.

Wer wie Tellkamp postuliere, über 95 Prozent der Flüchtlinge kämen nur, »um in die deutschen Sozialsysteme einzuwandern«, so Christoph Links, der äußere keine Meinung, er mache sich einer falschen Tatsachenbehauptung schuldig. Ein Verlag, wie er ihn leite, dürfe solche Behauptungen »nicht ungestraft verbreiten«. Meinung und vermeintlicher Fakt, bestätigte Hanser-Lektor Florian Kessler, müssen »geschieden werden wie Essig und Öl«. Auseinanderzusetzen hätten sich Verlage und Buchmessen, und nicht nur die, allerdings fortwährend mit dem »großen Bereich vor der roten Linie«. »Das Ringen mit dem Sagbaren«, so Kessler, »gehört zur Demokratie«.

Linke Aktivistinnen und Politiker, aber auch Studenten und Mitarbeiterinnen der deutschsprachigen Literaturinstitute hatten im Vorfeld gefordert, rechte Verlage von der Leipziger Buchmesse auszuschließen. Doch mit welchem Argument sollte ausgerechnet eine Veranstaltung, die sich als Anwältin einer offenen Gesellschaft versteht und sich auch in diesem Jahr wieder redlich gemüht hat, ihrem Ruf als Jahrmarkt des freien Wortes gerecht zu werden, den Rauswurf derer begründen, die als Feinde dieser Offenheit wahrgenommen werden? Die Messeleitungen in Frankfurt am Main und Leipzig haben trotz intensiver Auseinandersetzung mit der Problematik kein solches Argument gefunden und eine Verbannung von Ausstellern aus politischen Gründen abgelehnt. Nachdem es am Sonnabend auch in Leipzig im Umfeld der Verlage Antaios und Compact zu heftigen, aber überwiegend verbalen Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten gekommen war, bekannte sich die Leipziger Messe in einem betont nüchternen Statement dazu, »bewusst Raum für die friedliche Meinungsäußerung« zu bieten und wiederholte ihren »Aufruf, im Meinungsaustausch besonnen zu bleiben«.

Warum der Antaois-Verleger Götz Kubitschek, wie schon in Frankfurt, für seine propagandistischen Veranstaltungen abermals ein offizielles Messeforum nutzen konnte, bleibt jedoch fragwürdig. Wenn diese Podien tatsächlich von jedem Aussteller genutzt werden können und ihre Besetzung ausschließlich von einer frühzeitigen Buchung und Bezahlung abhängt, ist dieses Konzept dringend zu überdenken. Eine Bühne, über der das Logo der Messe weht, sollte mit einer kuratierten Debatte aufwarten, nicht mit absehbarer Provokation.

Es hat solche Debatten in Leipzig gegeben, in denen die Meinungen aufeinanderprallten - und sie erwiesen sich als sehr viel geeigneter dazu, jenen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die eine linke »Gesinnungsdiktatur« walten sehen, als die Konfrontation mittels Gerempel und Parolen. So musste die polnische Journalistin Aleksandra Rybińska, die sich selbst einmal als »die PiS-Tante vom Dienst« für die deutschen Medien bezeichnet hat, sich zwar heftige Widerworte gefallen lassen, als sie die EU auf einem Podium bezichtigte, den Regionalismus zu fördern, um die Nationalstaaten zu zerstören, gleichwohl hatte sie die Gelegenheit, ihre Thesen ausführlich auszubreiten. Auch bei einem Buchhandelspodium des Börsenvereins, an dem Susanne Dagen teilnahm, die eben jenem noch in der »Charta 2017« eine »ideologische Einflussnahme« unterstellt hatte, »mit der die Freiheit der Kunst beschnitten« würde, ist es friedlich und zivilisiert zugegangen.

Denkwürdig die Verleihung des Kurt-Wolff-Preises, der alljährlich für die engagierte Arbeit unabhängiger Verlage vergeben wird, diesmal an den Elfenbein-Verlag (Haupt-) und die Edition Rugerup (Förderpreis). Denkwürdig nicht nur, weil Britta Jürgs, die Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung, in ihrer Rede auf einen Verlust aufmerksam machte, der greifbarer ist als der vermeintliche Verlust der Meinungsfreiheit. Gemeint ist der Verlust an Vielfalt in der Verlagslandschaft: Immer mehr Kleinverlagen setzt der Strukturwandel in der Branche existenziell zu.

Denkwürdig war die Verleihung aber auch wegen einer eher beiläufigen Bemerkung des Laudators Stefan Weidle. In seinen Lobesworten für die ästhetischen Verdienste der Edition Rugerup verwies er darauf, dass dort mit Ulrich Schacht und Jörg Bernig auch zwei Autoren im Programm zu finden seien, die die »widerliche Charta 2017« unterzeichnet haben. Wie ein Lehrer, dessen Musterschülerin sich einen Ausrutscher erlaubt hat, »entschuldigte« Weidle den ihm offenbar unangenehmen Umstand damit, dass die Rugerup-Verlegerin Margitt Lehbert häufig im Ausland weile und gab sich zuversichtlich, dass das Publizieren rechter Dichter in Lehberts Hause »Episode bleiben wird«.

Seit Monaten, entgegnete die Ein-Frau-Verlegerin am Ende ihrer Dankesrede, sei ihr bekannt, »dass der Verlag hier nicht nur Lob, sondern auch eine Rüge erhalten wird«. Als Antwort darauf formulierte sie drei Fragen: »Sollte man Heidegger nicht zitieren, Céline nicht lesen, Ezra Pound nicht auf dasselbe Regal stellen wie Paul Celan oder Shaul Tschernichowsky? Sollte es die Bücher dieser Autoren besser gar nicht geben? Oder sollten solche Bücher nur bei Gleichgesinnten erscheinen?« Ihre Antwort hatte Lehbert schon zuvor in einen Vers des von ihr übersetzten australischen Dichters Les Murray gekleidet: »Man kann eine Lüge nicht beten, hat Huckleberry Finn gesagt;/ man kann sie auch nicht dichten.« Was ein Dichter politisch äußert, steht auf dem einen Blatt, sein Werk auf dem anderen.

Mit der Leipziger Buchmesse sind die Debatten, die dort geführt wurden, längst nicht zu Ende. Sie nicht dem anonymen virtuellen Raum zu überlassen, wo sich so häufig der Hass entlädt, sondern sie dort zu führen, wo ein direkter Austausch von Argumenten stattfinden kann, hat sich die IG Meinungsfreiheit beim Börsenverein auf die Fahnen geschrieben: Man wolle die Buchhandlungen stärken - als Orte des Dialogs.

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