Saudi-Arabien - endlich ungeschminkt!

Arte porträtiert mit »Saudi-Arabien - Ölmacht in der Krise« ein Land, das von einem fundamentalistischen Islam regiert wird

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist kein Film aus 1001 Nacht. Statt zuckersüßer Werbebilder wird Saudi-Arabien 55 Minuten lang ungeschminkt gezeigt. Ein konservatives Königshaus gepaart mir einer fundamentalistischen Geistlichkeit, die ihren wahhabitisch-salafistischen Islam petromilliardendollarschwer zu möglichst vielen Sunniten in alle Welt exportiert. Doch der Golfstaat steckt in einer Krise, die das Land zu zerreißen droht. Denn in Zeiten der US-amerikanischen Fracking-Konkurrenz sprudeln die Öleinnahmen nicht mehr so wie früher.

Erstmals seit 40 Jahren müssen viele Saudis arbeiten, eben auch immer mehr Frauen. Bislang mussten sie die Erlaubnis ihres Vaters, Ehegatten, Bruders oder sonstigen männlichen Verwandten einholen, um überhaupt Geld verdienen zu dürfen. Das saudische »Hütersystem« eben! Jetzt trauen sich immer mehr Frauen, eigene kleine Firmen zu gründen. Bald sollen sie sogar ganz offiziell Auto fahren dürfen. Die Jugend will westliche Freiheiten, im Internet üben sie sich in immer mehr Gedanken- und Meinungsfreiheit.

Noch gilt das Prinzip der Abschreckung. Der saudische Blogger Raif Badawi, der mit zehn Jahren Haft und 1000 Stockhieben bestraft wurde, ist das prominenteste Beispiel dafür. Doch vielleicht gehört er zu den letzten Opfern des Regimes. Mit der Reform 2030 hat der neue Herrscher Mohammed bin Salman erste Zugeständnisse gemacht: Sogar Kinos oder Konzerte sollen bald erlaubt sein. Und erstmals wird der Tourismus angekurbelt. Saudische Frauen in Bikini an heimischen Stränden?

Solch sündiges Treiben reizt allerdings die religiösen Hardliner bis aufs Blut. Allein auch, weil die bislang omnipräsente Religionspolizei zumindest auf der Straße entmachtet wurde. Die radikalen Salafisten rufen zum Kampf gegen die Regierung auf. Denn das Königshaus der Sauds führt nicht nur neue Freiheiten ein, sondern kooperiert mit dem Westen. Etwa, indem milliardenschwere Waffengeschäfte abgeschlossen werden, statt das Geld für die eigene Bevölkerung auszugeben. Da fliegen allein 48 Euro-Fighter am arabischen Himmel. Deutsche Leopard-Panzer würde man bekanntermaßen auch noch gerne dazu kaufen. Und US-Präsident Trump hat beim letzten Besuch gleich Waffen für 110 Milliarden US-Dollar verscherbelt.

Dabei geht dem Königreich das Geld aus. Die Mittelschicht in Saudi-Arabien droht abzugleiten. Zudem sind im Land der heiligsten Stätten von Mekka und Medina ungläubige US-Soldaten stationiert. Ein permanenter Frevel für die Islamisten, die immer wieder Attentate im Land verüben. Hinzu kommt der Dauerkonflikt nicht nur mit Iran, sondern eben auch mit den rund zwei Millionen Schiiten im eigenen Land.

Und dann wird in der Dokumentation auch das Missionsfeld Europa in den Blick genommen. Seit den 1960er Jahren wurden von Saudi-Arabien gut 75 Milliarden US-Dollar in den Bau von Moscheen, islamischen Zentren und in die Ausbildung von Predigern in der ganzen Welt investiert. Belgien ist Schwerpunkt in Europa. Der dortige König überließ seinem saudischen Kollegen König Faisal mitten in Brüssel ein Gebäude für den Moscheeumbau. Im Gegenzug bekam Belgien billiges Öl vom Golf. Von Riad wird jahrzehntelang der salafistische Geist gerufen, der nun im dschihadistischen Terror Gestalt annimmt und unser aller Leben bedroht, auch das der gemäßigten Muslime.

Schade nur, dass die saudische Beeinflussung auch in deutschen Moscheegemeinden nicht Thema des Films ist. Das wäre eine weitere politisch brisante Reportage wert. Aber auch schon diese anspruchsvolle Analyse über das Saudi-Arabien des Jahres 2018 kann man als gelungen und sehenswert bezeichnen!

Arte, 27. März, 20.15 Uhr

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