Pssst!

Im Horrorschocker »A Quiet Place« ist das Leben zum pausenlosen Überlebenstraining geworden

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine der wesentlichen Leistungen der Menschheit bestehe darin, fortwährend Lärm zu produzieren, behaupten böse Zungen. Tatsächlich: Die Erzeugung von unliebsamem Geräusch - vom Krach, den der Rasenmäher produziert, bis zum sinnfreien Dauergelaber am Mobiltelefon - scheint eines der ganz großen Talente der Menschen zu sein. Da ist es schön, wenn ein Film einmal wortlos anfängt.

Die Anfangsszenen des Horrorthrillers »A Quiet Place« zeigen dem Betrachter eine typische postapokalyptische Szenerie: eine Art Geisterstadt, verlassene Häuser im US-amerikanischen Nirgendwo, aus den Angeln hängende Türen, die verwahrlosten Flure eines Supermarkts. Wir sehen Kinder vorsichtig auf Zehenspitzen die Flure entlanggehen, auch eine erwachsene Frau schleicht barfuß und schweigend an den Medikamentenregalen entlang. Hier ist offenbar irgendetwas überhaupt nicht gut gelaufen, so viel steht fest. Atomkrieg, Zombieapokalypse, hässliche Viren oder biologische Kampfstoffe, die versehentlich freigesetzt wurden, irgendwas. »Tag 89«, so lautet eine Einblendung. Drei Monate also ist die Welt schon in diesem erbarmungswürdigen Zustand.

Warum die überlebende All-American-Family (die Supermarktplünderer), die wir zu Beginn kennenlernen (Mama, Papa, pubertierende Tochter, kleiner Sohn, noch kleinerer Sohn), im Gegensatz zu den anderen die Katastrophe überlebt hat, stellt sich rasch heraus: Sie ist leise. Sehr leise. Die Familienmitglieder sprechen nicht miteinander, und wenn sie es tun müssen, tun sie es flüsternd. Die Kommunikation ist auf die bereits monatelang eingeübte Mimik, Blicke, Gesten, Gebärdensprache reduziert. Still möge er bitteschön sein, so ermahnt der gütige Vater im Flüsterton seinen Jüngsten. Die batteriebetriebene Plastikspielzeugrakete solle der Kleine in der Supermarktruine zurücklassen: »It’s too loud.«

Doch der Kleine will nicht hören: Piep-piep-piep macht seine Rakete, die er entgegen der väterlichen Mahnung heimlich eingesteckt und mit der er heimlich herumgespielt hat. Und Zack! Schon wird der Kleine von irgendetwas, das pfeilschnell vom äußeren Bildrand zu kommen scheint, zerfleischt. Tja. So was kommt von so was. Wäre er doch nur brav still geblieben, der kleine Racker.

Schnitt. »Tag 472«. Unsere Familie hat sich ein halbsicheres Refugium geschaffen, in dem, damit sie nicht weiter dezimiert wird, der Schallschutz höchste Priorität genießt: Papa werkelt im Untergeschoss schweigend an seinen Überwachungskameras, seiner selbst gebastelten Funkanlage, mit deren Hilfe er anscheinend Kontakt zu anderen potenziellen Überlebenden aufzunehmen hofft, und anderen technischen Gimmicks. Mama hängt derweil schweigend Wäsche auf und macht sich in der Küche zu schaffen. Auch in der postapokalyptischen Welt müssen schließlich Geschlechterrollenklischees existieren, wo kämen wir sonst hin? Das abendliche Mahl wird von der Familie schweigend eingenommen. Und wenn die Kinder bei Petroleumlampenlicht auf dem Fußboden Monopoly spielen, sind die Spielfiguren, die sie verwenden, wohlweislich aus Baumwollresten gefertigt, denn jedes unbedacht verursachte Geräusch kann einen ähnlich schmerzhaften Tod nach sich ziehen wie den des vor Jahresfrist von einer allem Anschein nach überaus geräuschempfindlichen Kreatur dahingerafften Brüderchens.

Der Film macht vieles richtig: Er zeigt dem Zuschauer die mysteriösen Wesen, deren Tötungsdrang stets sofort einzusetzen scheint, wenn irgendwo einer versehentlich eine Lampe umwirft oder niesen muss, nicht zu früh. Und er verlässt sich ganz auf seine auf erzwungener Stille und der permanenten Bedrohung unserer Figuren basierenden Thrills: Wie löst man Familienkonflikte durch Augenkontakt? Wie lautlos kann man Sex haben? Und wie organisiert man eine Geburt in einer Welt, in der jeder schrille Laut den gewaltsamen Tod des Lautgebenden zur Folge hat? Und was tut man, wenn der blutrünstige Außerirdische schon im Haus ist und man ihn oben in der Küche herumrappeln hört? Mit angstverzerrter Miene in die Kamera schauen reicht schließlich nicht.

Es ist ein simpler Kunstgriff mit eminenter Wirkung, dessen sich die Macher hier exzessiv bedienen, um Beklemmung beim Zuschauer auszulösen: Das zu laute Geräusch, es lauert überall, kann ständig ertönen. Weswegen die Angst eine ununterbrochene ist, insbesondere die des Zuschauers um die Figuren. Nicht jeder Schritt, jede Handlung, jede Lebensäußerung im Alltag ist berechen- und planbar. Unfreiwillig erzeugter Krach, ein Schluchzen, ein Lachen, ein Schrei, ein Stolpern kann genügen, um von unseren die Ruhe schätzenden, blitzartig vom Leinwandrand kommenden Freunden innerhalb von Sekunden zu blutigem Matsch verarbeitet zu werden. Für unsere Überlebenden ist der Alltag zu einem einzigen pausenlosen Überlebenstraining geworden.

Und wenn auf ein zu heftiges plötzliches Rumpeln oder Knirschen sekundenlange ohrenbetäubende Stille folgt, zuckt nicht nur unsere Bilderbuchbürgerfamilie auf der Leinwand zusammen und tauscht panische Blicke, sondern auch wir sinken tiefer in unsere Kinositze.

Doch obwohl, wie es bei einem Endzeitkammerspiel mit einem solchen Sujet zu erwarten ist, mit der Tonspur zum Zweck der Schock- und Spannungserzeugung hier vorbildlich gearbeitet wird (den menschlichen Puls und Herzschlag imitierende Ambient-Musik, eine fein austarierte Laut-Leise-Dynamik, vollständige Stille, passgenau platzierte fiese Geräuschattacken usw.), hat der Film etwas von einer Nummernrevue: Immer neue Settings und Szenen müssen die Macher sich ausdenken, um ihre Drehbuchidee - Stille ist überlebensnotwendig - in immer neuen Varianten durchzuspielen.

Im Übrigen meistert der Film, den man sowohl als Kommentar auf das fortwährende Funktionierenmüssen als auch auf die exzessive akustische Vermüllung in der Welt des fortgeschrittenen Kapitalismus lesen kann, die Herausforderung, eine Geschichte mal wieder ohne nervtötende Fertigteildialoge zu erzählen, einigermaßen bravourös. Schließlich gibt es kaum welche. Vielleicht wird der Film ja zum Lieblingsfilm der deutschen Hausmeisterinnung.

»A Quiet Place«, USA 2018. Regie: John Krasinski; Darsteller: John Krasinski, Emily Blunt. 91 Min.

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