Angsteinflößende Bausünde

Der Ebertplatz in Köln ist ein Kriminalitätsschwerpunkt - die Architektur ist mitschuldig

  • Jonas-Erik Schmidt, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn von Angstorten in Deutschland die Rede ist, wird oft auch der Ebertplatz in Köln genannt. Wer diesen Platz - ein paar hundert Meter vom Kölner Hauptbahnhof entfernt - kennt, hat in der Regel schon eine Art Gebrauchsanweisung im Kopf, bevor er ihn betritt. Sie lautet: Blick geradeaus. Zügig gehen. Sich bloß nicht ansprechen lassen. Und all das strikt befolgen, bis man auf der anderen Seite angekommen ist.

Der Ebertplatz, eine Art Beton-Schlund im Norden der Innenstadt, ist kein schöner Ort. Vor allem nicht, wenn es dunkel wird und man alleine ist. Drogendealer haben sich breit gemacht. Es gibt solche Orte nicht nur in Köln, sondern in vielen deutschen Großstädten. Aber am Ebertplatz lässt sich seit dem vergangenen Jahr beobachten, wie aus einem mulmigen Gefühl ein handfester Aufstand werden kann. Der Auslöser wird seit vergangener Woche am Kölner Landgericht verhandelt. Ein 25-Jähriger ist wegen Totschlags angeklagt - Tatort Ebertplatz.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, zusammen mit anderen Männern im Oktober 2017 einen 22-Jährigen aggressiv angesprochen zu haben, weil dieser Betäubungsmittel in einem von der Gruppe beanspruchten Gebiet verkauft habe. Der Streit sei eskaliert. Schließlich habe der angeklagte Marokkaner mit einem Küchenmesser zugestochen. Das Opfer starb. Der Anwalt des Angeklagten bestreitet allerdings die Schuld seines Mandanten. Ein anderer Mann habe »die Tat verübt«, er sei der Justiz auch bekannt. 24 Verhandlungstage sind geplant.

Unabhängig vom genauen Hergang hatte die Meldung von einem Toten am Ebertplatz gereicht, um die Stimmung in der Stadt kippen zu lassen. Dass es dort ein Problem mit Drogendealern gibt, war lange bekannt. Die lokalen Facebook-Gruppen waren nun aber plötzlich voll mit wütenden Kommentaren von Anwohnern und Bürgern. Tenor: Nun muss sich endlich was ändern! In der Politik wurde es hektisch. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) sprach plötzlich von einem »Problemplatz«.

Der Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs hat eine Erklärung. »Der Grund ist, dass die Leute denken: Es gibt keine soziale Kontrolle. Hier passt niemand auf«, sagt er. Der Ebertplatz sei geradezu ein Paradebeispiel. Seit Jahren modert er vor sich hin, eine einstmals funktionierende Rolltreppe wurde bereits 2004 stillgelegt und ist nun eine Art Auffangbecken für Müll und Laub. Der Platz hat mehrere Ebenen und viele Ecken. Wenn zu dieser unwirtlichen Kulisse auch noch ein konkreter Vorfall komme, löse das konkrete Angstgefühle aus, sagt Friedrichs. »Der Ebertplatz ist eine Fehlkonstruktion.« Man kann auch sagen: Eine Bausünde mit Wirkung auf die Kriminalstatistik.

Die Polizei hat ihre Präsenz erhöht, kommt aber kaum gegen die unheilvolle Kombination an. »Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel«, sagt Markus Szech von der Gewerkschaft der Polizei. Von der Straße seien die vielen Ecken gar nicht einsehbar. »Wenn man ein bisschen wachsam ist, kriegt man mit, dass ein Polizeiauto ankommt - und hat alle Zeit der Welt, in alle Himmelsrichtungen zu verschwinden.« Eine Überwachung rund um die Uhr sei personell gar nicht zu stemmen. Die Polizei stellt daher fest: »Nach wie vor gilt der Ebertplatz als Brennpunkt insbesondere der Betäubungsmittelkriminalität mit einer vergleichsweise hohen Kriminalitäts- und Einsatzdichte.«

Die Zahlen belegen das, auch wenn man bedenken muss, dass mit den verstärkten Kontrollen logischerweise mehr Vorfälle Eingang in die Statistik finden. 2016 wurden rund 800 Straftaten gemeldet, davon etwa 300 zum Thema Rauschgift. 2017 waren es etwa 1000 Straftaten, darunter rund 500 Rauschgiftdelikte.

In der Stadt ist man nun bemüht, den Ebertplatz aus der Schmuddelecke zu holen. Auf die Kombination aus Köln, Straßenkriminalität und großem Platz reagiert die Öffentlichkeit mittlerweile überregional allergisch - Stichwort Silvesternacht. Der Ebertplatz soll umgebaut werden, damit ist aber frühestens 2020 zu rechnen. Zunächst gibt es ein »Zwischennutzungskonzept«, bei dem ein »Café oder biergartenähnliches Gastronomieangebot« entstehen soll. Mit Kölsch gegen die Drogenszene. Die Stadt schlägt zurück. dpa/nd

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