Europäischer Gerichtshof verbietet Polen Urwald-Abholzung

Die polnische Regierung muss die Holzbewirtschaftung im Schutzgebiet einstellen

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Polen verstößt mit der umstrittenen Abholzung von Bäumen im geschützten Bialowieza-Urwald gegen das EU-Naturschutzrecht. Das entschied der Europäische Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg in einem am Dienstag verkündeten Urteil. Die Ausbreitung des Borkenkäfers rechtfertige nicht den Bewirtschaftungsplan und die Abholzung in dem Urwald, hieß es zur Begründung. Bei einem Verstoß gegen das Urteil drohen Polen hohe Bußgelder. Umweltverbände und Parteien befürworteten die Entscheidung.

Der Gerichtshof entsprach mit seinem Urteil einer Klage der EU-Kommission gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau in vollem Umfang. Der Urwald steht in Teilen unter dem Naturschutz der EU-Habitat-2000-Richtlinie und ist wegen seltener Tierarten ein »Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung«. Nach Auffassung der EU-Kommission handelt es sich um einen der am besten erhaltenen Naturwälder Europas.

Dabei bestätigt der EuGH, dass die Fällaktion EU-Recht verletzt habe, genauer: die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie. Fortpflanzungs- und Ruhestätten gefährdeter Arten seien bedroht. Der Kampf gegen Borkenkäfer sei keine Rechtfertigung. Die Maßnahmen führten zur Zerstörung eines Teils des Naturschutzgebiets, könnten also nicht dem Erhalt dienen.

Die EU-Kommission hatte die polnische Regierung 2017 wegen Verstößen gegen EU-Naturschutzrecht verklagt. Der Bialowieza-Wald, der sich von Polen weit nach Weißrussland erstreckt, ist außerdem Unesco-Weltnaturerbe. Auf polnischer Seite sind rund 63.000 Hektar als Natura-2000-Gebiet auch nach EU-Recht besonders geschützt. Das bedeutet unter anderem strenge Auflagen für die Forstwirtschaft. Die polnische Regierung erlaubte trotzdem 2016, in dem Urwald fast drei Mal so viel Holz einzuschlagen als vorher. Allein 2017 wurden nach offiziellen Angaben 150.000 Bäume gefällt.

Sollte sich Polen nicht an das Urteil halten, kann die EU-Kommission nach Auskunft des Gerichtshofs erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. In dem vorangegangen Eilverfahren hatte der EuGH mit Zwangsgeldern in Höhe von 100.000 Euro täglich gedroht, falls Polen das vorläufige Abholzungsverbot bis zur der nun ergangenen Entscheidung in der Hauptsache missachtet.

Polen kündigte an, das Urteil zu befolgen. Die Regierung habe den offiziellen Text der Entscheidung erhalten und dieser werde nun analysiert, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums in Warschau der Nachrichtenagentur AFP. Minister Henryk Kowalczyk habe bereits mehrfach erklärt, dass sich das Land entsprechend anpassen werde.

Umweltschützer sowie Grüne und SPD reagierten erfreut auf den Richterspruch. »Mit dem Urteil wurde ein Angriff auf ein einzigartiges Naturdenkmal abgewehrt«, erklärte die Organisation WWF. Das sei ein »wichtiges Signal für den Naturschutz in Europa«. Auch die Umweltschutzorganisation Robin Wood sprach von einem »guten Tag für den Schutz der letzten europäischen Urwälder«.

Die Grünen-Politikerin Steffi Lemke erklärte, das EuGH-Urteil habe »Präzedenzwirkung«. Es sende ein »klares Signal an die Regierungen Europas, europäisches Naturschutzrecht ernst zu nehmen«. Die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms nannte das Urteil einen Erfolg der vielen Aktivisten, »die in den letzten Jahren gegen die Zerstörung eines der letzten intakten Urwälder Europas gekämpft haben«.

Die SPD-Europapolitikerin Susanne Melior zeigte sich erfreut, »dass ein Bruch des europäischen Rechts nicht toleriert wird«. Die wenigen Urwälder in Europa seien »zu kostbar, um sie der Kettensäge zu opfern«. Die Regierung in Warschau müsse das Urteil nun rasch umsetzen.

Wegen der Ausbreitung des Buchdruckers, einer Unterart des Borkenkäfers, hatte der polnische Umweltminister bis 2021 nahezu eine Verdreifachung des Holzeinschlags allein im Forstbezirk Bialowieza sowie Sanitärhiebe und Verjüngungsschnitte in Gebieten zugelassen, die laut EuGH »bis dahin von jeglichen Eingriffen ausgenommen waren«. 2017 wurde dann auf der Hälfte des über 63.000 Hektar großen Natura-2000-Gebiets mit dem Fällen von vom Buchdrucker befallener Bäume begonnen.

Europaweit wird einer Studie zufolge immer öfter in geschützten Wäldern Holz geschlagen und als Begründung der Schutz vor Schädlingen vorgeschoben. »Anders als in der Öffentlichkeit häufig kommuniziert, ist bei den Einschlägen in Schutzgebieten der Aspekt Geldeinnahmen das Hauptmotiv«, erklärte Waldökologie-Professor Jörg Müller zu der von ihm geleiteten Untersuchung des Biozentrums der Universität Würzburg.

Sogenannte Sanitärhiebe seien in Wäldern sinnvoll, in denen die Holzproduktion im Vordergrund stehe, um Holz rechtzeitig einer guten Verwendung zuzuführen - ehe Borkenkäfer und Co. das Holz befallen, erläuterte Müller. »Für die Biodiversität im Wald und auch für seine Regenerationsfähigkeit sind sie es nicht.«

Den Richtern zufolge wurde im polnischen Bewirtschaftungsplan von 2015 nicht der Borkenkäfer als potenzielle Gefahr für das Naturschutzgebiet benannt, »sondern die Entfernung von ihm befallener hundertjähriger Fichten und Kiefern«. Der EuGH kam deshalb zu dem Schluss, dass die großflächigen Abholzungen »zwangsläufig zur Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten« streng geschützter Käfer führten.

Der Wald von Bialowieza erstreckt sich über 150.000 Hektar entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland. Teils sind die Wälder Schutzgebiete und zählen zum Weltnaturerbe und Biosphärenreservat der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Menschliche Eingriffe sind dort nur sehr eingeschränkt erlaubt, Besucher dürfen sich nur auf bestimmten Routen bewegen.

Im gesamten Wald sind 20.000 Spezies zu Hause, darunter 250 Vogel- und 62 Säugetierarten - wie zum Beispiel Europas größter Säuger, der Wisent. Auch Europas größte Bäume, 50 Meter hohe Tannen, stehen im Bialowieza-Urwald. Das Natura-2000-Netz verbindet Schutzgebiete in der gesamten EU und macht mehr als 18 Prozent der EU-Landfläche sowie sechs Prozent der Meeresfläche aus. Agenturen/nd

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