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»Mini-Utopien in Paris«

Zwei SDS-Aktivistinnen über Frankreichs Suche nach einer breiten Anti-Macron-Bewegung

  • Lesedauer: 4 Min.

Ihr seid als Teil einer Delegation linker Studierender spontan nach Paris gereist und habt dort die Unis Paris 8 und den Campus Tolbiac der Paris 1 besucht. Warum?

Ronda Kipka: Wir haben zusammengesessen und über die Unibesetzungen in Frankreich geredet. Unser Eindruck ist, dass in Deutschland kaum darüber berichtet wird. Also dachten wir: Wir müssen da hin und uns selbst ein Bild machen.

Daphne Weber: Ich fand, es ist quasi eine historische Notwendigkeit, dass wir als linke Studierende die Unibesetzer in Frankreich unterstützen.

Ihr sagt, ihr wolltet euch einen Eindruck verschaffen. Nun, was ist denn euer Eindruck? Wie ist die Stimmung in Paris?

Daphne: Am Donnerstag haben wir an einer Demonstration teilgenommen, es war die erste größere gemeinsame Aktion von Studierenden und den Eisenbahnern, die sich im Arbeitskampf gegen die Bahnreform befinden. Die linke Gewerkschaft CGT ist unglaublich geschlossen aufgetreten. Die Studis haben skandiert, dass sie sich mit den streikenden Eisenbahnern und den Krankenhausbeschäftigten solidarisch erklären. Umgekehrt haben die Arbeiter erklärt, sie unterstützen die Bildungsstreiks. Da hat also eine Gruppen- und Milieuübergreifende Solidarität geherrscht.

Ronda: Ich fand es allerdings auch spannend, da hin zu kommen und zu sehen: Die kochen auch nur mit Wasser. Und gleichzeitig haben die Studis dort innerhalb kurzer Zeit was Riesiges aufgebaut durch die Besetzungen. Die Aktivisten erschienen mir aber dabei sehr selbstreflektiert.

Was sind denn das eigentlich für Aktivisten, die die Unis besetzt haben?

Daphne: Sehr unterschiedlich. An der Paris 8 haben wir mit Autonomen zu tun gehabt. Dort waren es zu Beginn auch nur 15 Leute, die die Besetzung begonnen haben, dann wurden es 30 und die anderen mussten sich dann dazu verhalten. Ich fand es spannend, dass da eben nicht von Beginn an eine Massenbewegung existierte, sondern dass radikale Menschen mit einer Tat den Anfang gemacht haben.

Aber es sind auch Aktivisten anderer Strömungen beteiligt, Sozialisten, Leute von der linken Partei NPA und auch viele Unorganisierte. La France Insoumise war nicht so präsent. Die Aktivisten von der NPA und die Autonomen sehen Melénchon zudem sehr kritisch wegen der nationalistischen Töne, die er mitunter anschlägt.

Und inwiefern waren die Besetzer reflektiert?

Ronda: Die sehen, dass sie viele Schichten nicht erreichen und dass es noch nicht genug Zusammengehen von zum Beispiel Eisenbahnern und Studis gibt. Die hauptsächlichen Debatten drehten sich daher um die Frage: Wie schaffen wir es, von den Partikularbewegungen zu einer gemeinsamen Anti-Macron-Bewegung zu werden?

Darauf komme ich gleich noch einmal, aber erst mal einen Schritt zurück: Es gibt sehr viele unterschiedliche Kämpfe, die dort gerade ausgefochten werden. Dabei geht es um die Bildungsreform, Bahnreform, es stehen auch eine Parlaments- und eine Justizreform an. Was davon war denn eurer Wahrnehmung nach das entscheidendste Thema gerade?

Daphne: Pro Gruppe ist das entscheidende Thema schon das, was sie selbst am meisten betrifft. Bei den Eisenbahnern also die Angst um ihre Arbeitsplätze und vor Leiharbeit. Bei den Studierenden die Angst, dass durch eine neue Art der Selektion eine Bildungselite gefestigt wird.

Ronda: Wenn man da hinkommt und sich vorher nicht mit den Reformen im Detail beschäftigt hat, dann merkt man nicht unbedingt: Dies und das wird jetzt konkret umgebaut. Es herrscht eher so eine allgemeine Stimmung: Es gibt massive Angriffe auf den Sozialstaat und einen neoliberalen Umbau in ganz vielen Bereichen.

Hat das neue Asyl- und Einwanderungsgesetz auch eine Rolle gespielt?

Daphne: Ja. Erstmal nicht vordergründig. Aber beispielsweise auf der Demonstration am Donnerstag gab es auch einen großen Block von Sans Papiers, der sich völlig selbstverständlich in diese Demo eingegliedert hat, niemand dort hat das infrage gestellt.

Ihr habt gesagt, dass gegenseitige Solidarisierung derjenigen, die da gerade Kämpfe führen, sichtbar war. Aber auch, dass die Frage diskutiert wird, wie eine noch viel breitere »Anti-Macron-Bewegung« erreicht werden kann. Was fehlt dafür?

Ronda: Eine Schlussfolgerung, die die Aktivisten der jetzigen Unibesetzungen aus der Nuit-Debout-Bewegung von 2016 gezogen haben, ist, dass große Demos allein nicht ausreichen, sondern dass es auch ans »Eingemachte« gehen muss: Unis schließen, Prüfungen ausfallen lassen ... Es bleibt aber die Frage: Wie kann man diese Bewegung auf Schüler ausweiten, wie kann man Elternkomitees gewinnen und so weiter. Anfang Mai sind größere gemeinsame Mobilisierungen der unterschiedlichen Bewegungen geplant und die Rede war mehrfach davon, dass sich dann entscheidet, ob es eine Chance gibt, zu gewinnen und die Macron-Reformen aufzuhalten. Wenn das floppt, dann wird es eng.

Was habt ihr mitgenommen aus Paris?

Ronda: Inspiration und Hoffnung, dass Menschen innerhalb kurzer Zeit Gigantisches auf die Beine stellen können.

Daphne: Mich hat beeindruckt, wie die Bewegungen zusammenstehen, trotz der unterschiedlichen Interessen. Was mir aber zu denken gibt, ist, dass einen Tag nach unserer Abreise der Campus Paris Tolbiac der Uni 1, auf dem wir sehr viel Zeit verbracht haben, gewalttätig von der Polizei geräumt wurde. Das hat auch gezeigt: Diese durch die Besetzungen geschaffenen Mini-Utopien mitten in der Stadt sind bedroht, solche staatliche Gewalt können sie nicht überleben.

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