Der vogtländische Himmel hängt voller Geigen

In Markneukirchen baut man Streich-, Zupf-, Holz- und Metallblasinstrumente nach wie vor ausschließlich in Handarbeit

  • Steffi Schweizer, Markneukirchen
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer mit offenen Augen durch die Straßen Markneukirchens geht, entdeckt an jeder dritten Haustür ein kleines Schild: Geigenbauer, Bogenmacher oder Ähnliches. In über 130 kleinen Werkstätten entstehen Streich-, Zupf-, Holz- und Metallblasinstrumente, Bögen, Saiten und Etuis. Und in der »Erlebniswelt Musikinstrumentenbau« mit den Schauwerkstätten kann man sehen, wie das geht.

Mit Schwung öffnet Stefan Rehms die Tür zur Geigenbauwerkstatt. Übersprudelnd erzählt der Geigenbaumeister von seiner Heimat und ihren Traditionen, erklärt Violinen und Celli, spricht über Hölzer und Preise. Fragt man, wie es dazu kam, dass sich ausgerechnet aus einem Ackerdörfchen kurz vor der sächsisch-böhmischen Grenze solch ein Zentrum des Musikinstrumentenbaus von Weltruf entwickeln konnte, lacht er, denn diese Frage hört er oft. Auch von Musikern, die bei ihm an die Werkstatttür klopfen. Sie kommen aus Deutschland, Europa und Asien, aus Amerika und Australien.

Zwölf Flüchtlinge aus Böhmen
Während des Dreißigjährigen Krieges retteten sich zwölf protestantische Geigenbauer aus Böhmen vor den kaiserlichen Truppen über die Grenze ins protestantische Sachsen. Diese zwölf Protestanten gründeten im Jahre 1677 die älteste und heute noch existierende Geigenbauerinnung und legten den Grundstein für den Weltruhm des »Musikwinkels«. In über 300 Jahren Instrumentenbau sind Familientraditionen gewachsen. Die Werkstatt Posaunenbau Helmut Voigt besitzt die längste – zwölf Generationen in Folge haben dort Posaunen gebaut. ssc

Markneukirchens Tradition geht zurück auf die Flucht protestantischer Geigenbauer aus Böhmen. Viele der heutigen Hersteller haben nicht einmal eine Website. Es ist »nur« ihr Name, der Profis aus der ganzen Welt anzieht. Geigenbau, sagt Rehms, ist ein Geschäft mit Mund-zu-Mund-Propaganda. Kein Musiker kauft eine Geige im Internet. Er will sie anfassen. Während im Zuge von Industrialisierung und Digitalisierung Instrumente nahezu überall auf der Welt maschinell hergestellt werden, bauen die Markneukirchner Instrumentenkünstler ihre ausschließlich in Handarbeit.

Das Holz, das Rehms zum Klingen bringen möchte, ist immer Ahorn, Fichte oder Bergahorn. Derzeit ist in seiner Werkstatt eine Bratsche im Entstehen, eine Bestellung aus Japan. Sie soll pünktlich fertig werden. Während der Chef außer Haus ist, arbeitet Praktikantin Milena Schmoller, eine ausgebildete Geigenbauerin und Studentin an der Markneukirchener Fachhochschule, an der Decke des künftigen Instruments und wartet schon, dass ihr Meister aus der Schauwerkstatt zurückkehrt.

Die Arbeit eines Geigenbauers teilt sich etwa je zur Hälfte in neue Aufträge und Reparaturen. Ein großes und besonders wertvolles Instrument fällt gleich ins Auge - ein Kontrabass aus dem Jahr 1695, ursprünglich in der Dresdner Frauenkirche zu Hause, wird restauriert. Noch vor den Bombenangriffen im Februar 1945 kam er nach Markneukirchen.

Sonnenstrahlen spiegeln sich im Lack der Hölzer, die eine beruhigende Atmosphäre ausstrahlen. Hier entstehen Instrumente, mit denen in den Konzertsälen von New York, Tiflis, Berlin, Dresden oder München Musik gemacht wird. »Für mich ist Geigenbauen kein Beruf, sondern ein Hobby, mit dem ich Geld verdiene«, bekennt Rehms. Mitte der 1990er Jahre besuchte er die Berufsschule in Klingenthal und absolvierte dann bei Meister Jörg Wunderlich seine praktische Ausbildung. Das war damals, als ganze Wirtschaftszweige zusammenbrachen, pures Glück. Nach drei Jahren hatte er den Gesellenbrief in der Tasche, ging auf Wanderschaft, nahm an der Fachhochschule in Markneukirchen ein Studium auf und erwarb parallel den Meisterbrief. Dann roch er in die Forschung hinein, arbeitete als Restaurator und ging eine Zeit lang nach München. Er wollte die Welt erobern, sie stand ihm offen.

»Aber ich kam an einen Punkt, da hat es mich zurückgezogen. In Markneukirchen fehlt mir manches: eine Bar, ein Frühstückscafé, einiges an Kultur. Aber ich dachte, wenn alle weggehen, was wird dann hier?« Der 39-Jährige baut heute nicht nur Geigen, er lehrt auch als Honorardozent an der Fachhochschule, hält Vorträge in der Schauwerkstatt, engagiert sich in der Lokalpolitik. Er ist stolz auf seine »einmalige Stadt«, die durch den Mauerfall nicht mehr am Ende der Welt liegt. Die Welt, in die es ihn zog, sagt er, die kommt jetzt zu ihm.

Die »Erlebniswelt Musikinstrumentenbau« in Markneukirchen empfängt Musikvereine und Orchester. Jeden Mittwochnachmittag ab 14.30 Uhr gibt es Schauvorführungen für jedermann ohne Anmeldung: Johann-Sebastian-Bach-Str. 13, 08258 Markneukirchen. Tel. 037422-392939; e-Mail: erlebniswelt@musiconvalley.de; www.erlebniswelt-musikinstrumentenbau.de; Eintritt pro Person fünf Euro.

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