Kurzes Gedenken für rechtes Mordopfer

Eine Granitplatte mit Inschrift für Nguyen Van Tu in Marzahn ist wenige Wochen nach Anbringung verschwunden

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein schmaler Grünstreifen, drei Bäume darauf, eingerahmt von einem Parkplatz, dahinter ein Supermarkt. Hier wurde vor 26 Jahren Nguyen Van Tu erstochen. Seit Mitte April, eine Woche vor dem Todestag am 24. April, wies eine Gedenktafel auf den rassistischen Mord hin. Jetzt ist sie verschwunden.

Verlegt hatte die Gedenktafel nicht der Bezirk Marzahn-Hellersdorf, sondern eine antifaschistische Gruppe. »Es gibt hier im Bezirk kein aktives Gedenken an Nguyen Van Tu«, sagte die Aktivistin Mutjara Teng dem »nd«. Nach dem 25-jährigen Todestag im vergangenen Jahr hätten einige Aktivisten versucht, mit Politikern über einen möglichen Gedenkort ins Gespräch zu kommen. Das sei aber gescheitert. Deshalb habe die Gruppe selbst eine Gedenkplatte erstellen lassen und verlegt. Fotos zeigen die etwa 50x70 Zentimeter große Granitplatte in einem metallenen Rahmen.

Die Inschrift lautete – auf Deutsch und Vietnamesisch: »In Gedenken an Nguyen Van Tu, der hier am 24.4.1992 im Alter von 29 Jahren von Neonazis ermordet wurde.« Die Antifaschisten klebten im Umkreis des Tatorts zudem Plakate, die über die Tat informierten.

Nguyen Van Tu hatte am Einkaufszentrum am Brodowiner Ring Zigaretten verkauft. Mike L., der sich in der Nähe zusammen mit Freunden betrank, stieß zuerst die Zigarettenkisten des Händlers um. Als dieser ihn zur Rede stellte, stach Mike L. zu. Freunde brachten Van Tu ins Krankenhaus, wo er schließlich starb. Lange wurde der Mord als einer von lediglich zwei offiziell anerkannten rechten Tötungsdelikten in Berlin geführt. 2015 gab das LKA bei der Technischen Universität Berlin eine Untersuchung von zwölf weiteren Todesfällen in Auftrag. Diese ist nun abgeschlossen, und sieben weitere Morde sollen als rechtsmotiviert nachgemeldet werden (»nd« berichtete).

Bereits kurz nach dem Mord an Van Tu war vor Ort eine Gedenktafel angebracht worden. Wenige Wochen später wurde sie zerstört. Einige Fragmente der Tafel werden im Heimatmuseum des Bezirks aufbewahrt. 2011 verhandelte die Bezirksverordnetenversammlung noch einmal darüber, am Ort des Geschehens einen Gedenkort einzurichten. Die Verordneten erklärten schließlich: »Die Anbringung einer Gedenktafel vor oder in einem Einkaufszentrum wird dem tragischen Ereignis nicht gerecht.« Stattdessen erhielt eine Skulptur in der Bezirksbibliothek eine Widmung für Nguyen Van Tu.

Teng und andere antifaschistische Aktivisten sind anderer Meinung. Das »Klima im Kiez« mache ein Gedenken im öffentlichen Raum notwendig, meint Teng. In den vergangenen Wochen seien vermehrt auf Stromkästen gemalte Reichsflaggen im Kiez aufgetaucht.
Die sind auch heute noch da. Die von den Antifaschisten angebrachten Plakate zum Mord an Van Tu hingegen sind längst verschwunden. Die Gedenkplatte am Brodowiner Ring wurde kurz nach dem Einlassen in den Boden – das zeigen Fotos – zunächst mit Beton übergossen, so dass die Inschrift nicht mehr zu erkennen war.

Nun wurde sie komplett entfernt. Die Aktivisten gehen davon aus, dass die Stahlstreben, die wiederum in Beton eingelassen waren, abgeflext wurden. Die Vermutung liegt nahe, dass es Neonazis waren. Möglich ist aber auch, dass das Ordnungs- oder Grünflächenamt tätig wurde – schließlich war die Gedenkplatte nicht genehmigt. Der zuständige Stadtrat erklärte am Freitag, der Vorgang sei ihm nicht bekannt. Mehr könne er erst am Montag in Erfahrung bringen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal