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  • Linkspartei-Debatte um Migration

Offene Grenzen, geschlossene Visiere

Die Debatte in der Linkspartei über Einwanderung hält an, auch der bevorstehende Parteitag wird keine Entscheidung bringen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Parteitag der LINKEN Anfang Juni in Leipzig rückt näher und mit ihm die Frage, was er zur Klärung der inhaltlichen Debatten in der Partei beitragen wird. Denn mehr als die Wahl des neuen Vorstands, die zumindest bisher an Überraschungen wenig bereitzuhalten scheint, führen aktuelle Debatten gegenwärtig zu inhaltlicher Polarisierung.

Vor allem, wenn es um die Migrationspolitik geht. Schon seit eine Projektgruppe ostdeutscher Landtagsfraktionen der LINKEN Anfang 2017 ihr Konzept für ein Einwanderungsgesetz vorlegte, nahm die Debatte an Fahrt auf. In diesem Konzept wird Migrationspolitik in allen ihren Teilen - zu Flüchtlingen, Arbeitsmigranten und zur Einbürgerung - behandelt. Pate steht dabei der Anspruch aus dem in Erfurt 2012 beschlossenen Parteiprogramm: »Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.« So wird die angepeilte Regulierung von Einwanderung von allen ökonomischen Nützlichkeitserwägungen befreit; nach wie vor soll es Aufenthaltstitel geben, »jedoch sollen die Gesetzmäßigkeiten umgekehrt werden«: Statt dem Einwanderungsrecht als Ausnahme plädieren die Autoren für eine Möglichkeit legaler Einreise für jede Person. Dauerhaft soll damit das Recht auf legalen Aufenthalt und soziale wie politische Inklusion entstehen. Genügen soll der Nachweis eines sozialen Bezugspunkts in Deutschland.

Dies entspricht dem Ziel der offenen Grenzen. Allerdings liegen dem Parteitag Anträge vor, die den Vorschlag trotzdem ablehnen, weil er den Antragstellern zu restriktiv erscheint. Jede Gesetzesregelung beinhalte auch die Pflicht zu ihrer staatlichen Exekution; das sei keine linke Politik, monieren die Kritiker von links. Eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht werde als zulässig geschildert, stellt empört der Kreisverband Essen in seinem Antrag fest. »Inwiefern passt dies zu einer Politik, die international und klassensolidarisch organisiert ist und die die Menschenrechte ernst nimmt?«

Im Leitantrag des Parteivorstands an den Parteitag wird der Gesetzentwurf nicht ausdrücklich erwähnt. Angesichts des unsicheren Ausgangs der Debatte will der Vorstand eine grundlegende Entscheidung offenbar vertagen. Parteichef Bernd Riexinger begründete am Montag gegenüber »nd«, man habe die Debatte zur Einwanderung begonnen; man wolle sie auf dem Parteitag nicht gleich wieder beenden. Doch der Leitantrag bezieht die Positionen des Einwanderungskonzepts der ostdeutschen Faktionen mehr oder weniger deutlich. Eine Einwanderungspolitik nach Nützlichkeit für Unternehmen wird abgelehnt. »Stattdessen wollen wir eine solidarische Einwanderungsgesellschaft«, heißt es. Darüber hinaus fordert der Antrag, Migranten nach drei Jahren legalen Aufenthalts ein Recht auf Einbürgerung zu verschaffen. Illegalisierte sollen unbefristet Aufenthalt erhalten.

Damit ist eine Position formuliert, die mit einer Mehrheit des Parteitages rechnen kann, den eigentlichen Konflikt jedoch ausspart. Denn die aufgeworfene Frage lautet: Darf linke Politik Einwanderung regulieren wollen? Und ist das vorliegende Einwanderungskonzept der ostdeutschen Fraktionen als Blaupause hierfür geeignet? Auf dem bevorstehenden Parteitag wäre es vermutlich nicht mehrheitsfähig. Denn zur Kritik von Linksaußen, die jede Einwanderungsregel als Variante staatlicher Restriktion ablehnt, kommt jene, die ein Recht des Staates auf Begrenzung keineswegs als abwegig empfindet.

Es ist dies der Standpunkt einer Gruppe aus dem Umfeld der Sozialistischen Linken, des gewerkschaftsnahen Flügels der Partei. Sie hat das theoretische Fundament jener Position formuliert, mit der Sahra Wagenknecht schon seit der Bundestagswahl im September letzten Jahres für Unmut in Teilen der Partei sorgt. Die Fraktionsvorsitzende im Bundestag hatte - auch im nd-Interview - erklärt, infolge der Flüchtlingskrise hätten sich viele soziale Probleme verschärft. Leidtragende seien vor allem sozial ohnehin benachteiligte Einheimische. Mit dieser Position provozierte Wagenknecht den internen Vorwurf, sie spiele Arme gegen Ärmere aus, um der AfD jene Wähler vor allem im Osten abspenstig zu machen, die früher LINKE wählten.

Wagenknecht wies dies zurück. Und auch die gewerkschaftsnahen Linken wollen sich in keine rechte Ecke schieben lassen, sehen den Vorwurf nicht als begründet an. Gleichwohl halten sie Grenzkontrollverfahren nicht per se für »gewaltsam oder menschenfeindlich«. Das von ihnen entworfene »Thesenpapier zu einer human und sozial regulierenden linken Einwanderungspolitik« unterscheidet ausdrücklich zwischen Einwanderung und Asyl. Letzteres bleibt ohne Begrenzung, wird im Gegenteil ausgebaut, aber Einwanderung ist im Verständnis der Autoren begrenzbar, ohne damit linke Positionen zu verraten. »Unbegrenzte Schutzgewährung für Menschen in Not ist etwas anderes als eine unbegrenzte Einwanderung, die auch all diejenigen einschließen würde, die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen.« Letzteres sei nicht alternativlos; hier hätten die Aufnahmeländer ein »Recht zur Regulierung von Migration«.

Ein Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit gibt es nach Meinung der Verfasser nicht. Ein Modell hingegen, »demzufolge faktisch jede/r einwandern und ein Bleiberecht erhalten dürfte, sei «für eine realistische linke Migrationspolitik weder zielführend noch der breiten Bevölkerung vermittelbar».

Eine linke Einwanderungspolitik müsse sich an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit halten, für das entsprechende Regelsystem seien «bestimmte elementare Restriktionen unumgänglich». Gerade mit dieser Auffassung haben die Autoren, zu denen die Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi und Jutta Krellmann, Michael Leutert und Sabine Zimmermann ebenso gehören wie Parteivorstand Ralf Krämer, heftigen Widerspruch in den eigenen Reihen geweckt. Dieser ist vielstimmig und nicht selten mit dem Vorwurf rechter Abweichung verbunden. So plädiert die ehemalige Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak entgegen den Autoren für die «Anerkennung des Rechts, dass jeder Mensch seinen Lebensmittelpunkt da wählen kann, wo er/sie es will».

Das gerade bestreiten die Autoren. Dass sie damit rechte Positionen verträten, dass es sich bei ihnen zugleich um eine Art Vorfeldtruppe von Sahra Wagenknecht handelt, weisen sie jedoch zurück. Ein Antrag zum Parteitag liegt von dieser Seite bisher nicht vor. Man befinde sich noch in der Beratung, deutet Mitautor Ralf Krämer gegenüber «nd» an. Er bekräftigt, man halte an den Grundpositionen fest - es bleibe vertretbar, nicht alle Einwanderer ins Land zu lassen und auch Grenzen für Aufenthalte zu setzen. Die Frage, was linke Einwanderungspolitik sei, sei nicht ohne weiteres zu beantworten. Man könne nicht einfach alles links nennen, was Regeln beseitige. «Wichtig ist auch die Frage, was der Bevölkerung vermittelbar ist.» Das habe mit Kapitulation vor der Rechten nichts zu tun, sondern betreffe das Selbstverständnis der Linken und ihre Möglichkeiten, überhaupt erfolgreich Politik zu machen.

Dagegen hatte Mario Neumann, einer der radikalen Kritiker von links, jüngst in der «taz» den Wert der Migrationsbewegung gar damit begründet, dass diese der «Angriff auf eine etablierte Ordnung» sei. Es gelte für die Linke, sich «zum Recht der Menschen zu bekennen, die Ordnung in Frage zu stellen und Konflikte zu eröffnen. Den Autoren gehe es hingegen um die »Gewährleistung der Ordnung«. So etwas nennt Ralf Krämer abenteuerlich. Linke müssten sich schon Gedanken machen, wie ihre Politik unter realen staatlichen Bedingungen aussehen kann. Und er verweist darauf, dass eine Umsetzung des in der Debatte als »rechts« kritisierten Konzepts mit einer realen Verbesserung der Lage von Flüchtlingen wie von Einwanderern verbunden wäre.

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