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  • Gefühle im Kapitalismus

Gefühle als Totschlagargument

Der neueste Trick des Kapitalismus: Emotionen verwandeln sich in Waren, die konsumiert werden wollen. Denn nur wer gut drauf ist, ist auch ein guter Mensch

  • Wolfgang M. Schmitt
  • Lesedauer: 5 Min.

Emotionale Texteinstiege werden Journalisten und solchen, die es werden wollen, von Schreibcoachs empfohlen, um den Leser in den Text »reinzuziehen«. Emotionen, trichtern einem die Narrationstrainer bei ihren teuren Seminaren und Workshops ein, seien es, warum Menschen überhaupt Zeitung lesen. Empirisch ist das kaum belegbar; macht aber auch nichts, wollen die Coachs doch selten argumentativ, sondern mit ihrer eigenen, als authentisch verkauften Gefühligkeit überzeugen. Denn, lautet die anthropologische Binsenweisheit, wir alle sind Gefühlsmenschen. Rationale Argumentationen sind da nur hinderlich. Dass die propagierte Emotionalisierungsstrategie in den meisten Fällen eine Boulevardisierung des seriösen Journalismus zur Folge hat, dass dies oft nur ein Zugeständnis an die sozialen, hochaffektiven Medien ist, dass dies vom - eigentlich wünschenswerten - räsonierenden zum bloß konsumierenden Leser führt, ja, nachgerade manipulativ ist, bleibt unausgesprochen.

Gefährlich wird es, wenn dieser Gefühlsjournalismus auf Gefühlspolitik trifft. Erinnern wir uns: Angela Merkel begründete ihre Ablehnung der »Ehe für alle« mit ihrem Bauchgefühl und Donald Trump verwendet in seinen Tweets gegen politische Gegner inflationär häufig das Wort »sad!« (»traurig!«). Darauf wurde nicht selten ebenso emotional reagiert, was wenig zielführend ist. Wo Emotionen regieren, verkommt der politische Diskurs. Zuletzt war dies zu erleben, als man Gefühle gegen Statistiken stellte: Zwar zeigt die jüngste Kriminalstatistik, dass Deutschland wesentlich sicherer geworden ist, doch sofort kommentierten Politiker und Journalisten, man solle die »gefühlte Unsicherheit« beachten, diese sei viel entscheidender - weshalb der Polizeiapparat vergrößert und die Überwachungsmaßnahmen ausgebaut gehören.

Gefühle sind die neuen Totschlagargumente: Wer sich unsicher oder beleidigt fühlt, hat Recht. Auch Kritiker unterstützen ihre Geschmacksurteile gern mit Emotionen: So sind die O-Töne auf Buchrücken in erster Linie Gefühlsbekundungen. Manchmal wird gelacht, häufig wird geweint. Wer sich einmal die Mühe macht, in einer Buchhandlung die Belletristikabteilung zu durchstöbern und wahllos O-Töne zu lesen, ertrinkt in einem Meer aus Kritikertränen - vor allem Elke Heidenreich sorgt für einen konstant hohen Pegelstand.

Verlage lieben das, denn Emotionen verkaufen sich besser denn je. Das beweist - völlig unemotional, aber sehr scharfsinnig - der von der israelischen Soziologin Eva Illouz herausgegebene Band »Wa(h)re Gefühle. Authentizität im Konsumkapitalismus«. Bislang ging man davon aus, dass der Kapitalismus unsere Gefühle prägt, formt, mitunter verstümmelt, Illouz aber radikalisiert die Diagnose: »Der Konsumkapitalismus hat Emotionen in zunehmendem Maß zu Waren gemacht, und dieser historische Prozess erklärt auch die Intensivierung des Gefühlslebens, wie sie in den ›westlichen‹ kapitalistischen Gesellschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts, besonders deutlich aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten ist.«

Im Zuge der Neoliberalisierung und der damit verbundenen Individualisierung der Gesellschaft wird der Einzelne persönlich adressiert, weniger als Bürger, mehr als Konsument und zugleich Produzent von Gefühlen beziehungsweise emotional aufgeladenen Waren. Diese Waren sind, erklärt Illouz, nicht fertiggestellt, wenn sie das Fabriktor passieren, sondern werden »erst während ihres Konsums in einer Interaktion mit dem Konsumenten abgeschlossen«. Der Konsument »liebt« eine Ware (Lebensmittel, Smartphone, Dekoartikel) und wird von ihr zurückgeliebt.

Konsumieren wird zu einem performativen Akt. Dies verdeutlicht Illouz am heute ständig verwendeten Begriff der »Atmosphäre«. So lasse der Besuch eines romantischen Restaurants mit Kerzen und Tafelsilber gegenseitige Anziehung aufkommen und verdichte sich zu einer Atmosphäre, »die sowohl objektiv (in der Einrichtung des Restaurants) als auch subjektiv (in dem Gefühl, das die Einrichtung hervorruft) existiert. Eine ›Atmosphäre‹ ist in der Tat typischerweise das Resultat eines Netzwerks von Objekten und Personen, in dem Gefühle die Verbindungen ausdrücken, die Objekte und Subjekte miteinander eingehen.«

Damit gerät die Subjekt/Objekt-Unterscheidung ins Wanken, weil Identität plötzlich als etwas aus Produkten Zusammengesetztes erscheint. Zwar ist deshalb das immer schon problematische Konzept der Authentizität heute besonders fragwürdig, doch war der Ruf nach dem Authentischen nie lauter. Eben weil dieser der Logik des kapitalistischen Versprechens folgt, mit Hilfe des Konsums von Produkten, Events oder Selbstoptimierungskursen zu sich selbst zu gelangen - um schließlich glücklich, das heißt, beruflich und sexuell erfolgreich, gesund und schön zu sein.

Große Industriezweige sind zwecks Herstellung von, wie Illouz es nennt, »Emodities« in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten entstanden - mit dem bemerkenswerten Effekt, dass gerade durch die Emotionalisierung die kapitalistische Struktur meist unerkannt bleibt. Besonders erstaunlich dabei ist, dass etwas gemeinhin als irrational Geltendes wie Gefühle problemlos in rationale Verhaltensmuster und Verwertungszusammenhänge eingespeist wird. Im »kognitiven Kapitalismus« wird ein sehr prosaisches Gefühlsmanagement betrieben - nicht nur von jedem Einzelnen, der sich Entspannung im Clubhotel erkauft oder sich »emotionale Ohrentropfen« (Ori Schwarz) durch die Popmusik verabreichen lässt, sondern auch von ganzen Industriezweigen. Die These wird in einzelnen, von Illouz’ ehemaligen Studenten verfassten Aufsätzen an konkreten Beispielen belegt. So schreibt etwa Daniel Gilon über die »Kommodifizierung der Angst« in Horrorfilmen; Emily West analysiert die Funktion von Grußkarten als Gefühlswaren; und Edgar Cabanas erklärt die Entstehung des »Psychobürgers« anhand der von Wirtschaft und Politik geförderten Glücksforschung, die letztlich auf eine Moralität der Gefühle abzielt. Mit dem, wie die Psychoanalytikerin Alenka Zupančič bereits 2014 diagnostizierte, problematischen Ergebnis: »Ein Mensch, der sich gut fühlt (und glücklich ist), ist ein guter Mensch; ein Mensch, der sich schlecht fühlt, ist ein schlechter Mensch.«

Ohne ihre Eigenständigkeit einzubüßen, beziehen sich alle Autoren auf Illouz’ Grundüberlegung und machen aus »Wa(h)re Gefühle« ein Werk aus einem Guss. Allzu oft sind Sammelbände eher lose Ansammlungen von Texten, dies aber ist, wie Illouz zu Recht schreibt, eine »kollektive Monographie«. Wer »Wa(h)re Gefühle« liest, so viel steht fest, wird weder lachen noch weinen, er wird vielmehr verstehen, dass Lachen und Weinen nicht einfach natürliche Gefühlsregungen sind, sondern häufig Teil eines lukrativen Geschäfts.

Eva Illouz (Hrsg.): Wa(h)re Gefühle. Authentizität im Konsumkapitalismus. Suhrkamp, 332 Seiten, geb., 22 €.

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