König und Knecht

Zum 75. Geburtstag des Schauspielers Klaus Maria Brandauer

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Nichts Langweiligers gibt es in der Kunst als den edlen Menschen. Genauso langweilig ist der erniedrigte Mensch. Das Allerlangweiligste nun ist die ewig wiederholte Behauptung, dass die großen Helden »in Wahrheit« auch nur schäbige, niedrige Wesen sind. Ein Beweis, der längst nichts mehr beweist. Überhaupt ist es am allerallerlangweiligsten, wenn Kunst etwas beweisen will. Klaus Maria Brandauer beweist nicht, er mischt. Aufschäumendes Leben mit drückender Verfangenheit in die Zwänge der Zeiten. Dieser Darsteller ist ein Psychologe der Verstrickung; seine wichtigsten Figuren erzählen von jener tragischen Unerlöstheit aus charismatischem Größenwahn - der aber einhergeht mit seltsamer Ängstlichkeit. Schauspieler Höfgen, Wahrsager Hanussen, Oberst Redl: Man erinnert sich an die Einsamkeit der Emporkömmlinge; an Täter, die zugleich Opfer sind; an aalglatt Aufsteigende mit erhabener Penetranz der Erscheinung. Kino der Schillernden, die sich nicht vertrauen, aber auch nicht bremsen können.

Brandauers Werk offenbart Dämonen und Charmeure, Herren und Diener, verschlagene Bücklinge und hochfahrende Ganoven; er war ein bewegender illegaler Widerstandskämpfer in Wickis »Spinnennetz«. Ein Schauspieler der berückenden Ambivalenz: König und Kleinbürger, Bauer und Galan. Und aller Welt zeigt der Schauspieler gern, dass er vor allem zum Theater ging - um gesehen zu werden. »Wir spielen alle«, schrieb der Dichter Arthur Schnitzler, »wer’s weiß, ist klug.«

So einer, dem Allüren nicht groß genug sind, aber jede Attitüde zu klein ist, muss Klaus Maria Brandauer heißen, nicht Klaus Georg Steng. Also borgte sich Klaus Georg, 1943 im österreichischen Bad Aussee geboren, beizeiten den klingenden Mädchennamen seiner Mutter. Die Schauspielschule brach er schnell ab, aber sein Engagement als Claudio in Shakespeares »Maß für Maß« hatte er bereits mit 19. Petrucchio, Orsini, Romeo, Hamlet; Düsseldorf, Theater in der Wiener Josefstadt und schließlich die Burg - Stationen eines furiosen Selbstbewusstseins.

Er kann spielend still demütig und fahl aasig sein, einnehmend sinnlich und bedrohlich vehement. »Ich habe einen Zug zum Ungeschminkten, zum Puren. Sie sehen bei mir den Schweiß, die aufgedunsenen Wangen.« Er hält Verführung für den Hauptauftrag seines Berufes. Als er früh, am Hamburger Thalia-Theater, seinen Hamlet probte, lief er in schwarzem Anzug durch die Stadt. Ein Freund fragte ihn, was denn los sei, warum er nur immer Schwarz trüge. Brandauer antwortete leise, ernst: »Mein Vater ist gestorben«, und der Freund merkte nicht, dass damit der gemordete König von Dänemark gemeint war.

Ganz groß werde er dereinst als Schauspieler herauskommen, versprach er seiner Mutter, als er mit zwölf neben ihr auf dem Salzburger Domplatz saß. Und sagte angesichts des großen Will Quadflieg, der da gerade den Jedermann gab: »Den spiel ich eines Tages auch!« Der Tag kam, nach 27 Jahren. Brandauer blieb für Jahre das Markenzeichen bei den Festspielen.

Natürlich ließ ihn sein ausgeprägtes Gespür für die richtige Mischung aus Qualität und Popularität nicht »nur« auf der Bühne auftreten. Er beehrte Fernsehserien mit glanzvoll zwielichtigen Auftritten, lieferte einen psychopathisch-brillanten TV-Nero und wusste seinen steigenden Marktwert als Burgschauspieler auch in Kinoproduktionen durchaus gewinnbringend einzusetzen. Für Szabós Meisterwerk »Mephisto« holte er einen Oscar, in den USA überzeugte er als böser Gegenspieler des James Bond von Sean Connery, und in Pollacks »Jenseits von Afrika« war er Partner des Hollywood-Traumpaares Meryl Streep und Robert Redford. Eines Tages setzte er sich selbst erstmals in einen Regiestuhl - mit der beachtlichen Lebensverfilmung des Hitler-Attentäters Georg Elser, den er in geglückter Personalunion auch spielte. Ein Erfolg, der ihn künstlerisch entschädigte für abgelehnte Nazi-Rollen aus Hollywood.

Er strahlt mit Genuss aus, was sich jeder Mensch erträumt: Freude an der ureigenen Art, in der Welt zu sein, und mit seinem Körper, seinem Geist selber immer auch ein Stück eigener Welt zu schaffen. Oder »krachledern« am heimischen Stammtisch zu sitzen. Bei Peter Stein spielte er den Wallenstein: ein elfstündiges Brauereihallen-Ereignis, ein Monumentaltheaterfilm in Berlin-Neukölln. Brandauer: schwarzer Ledermantel, klackende Stiefel, lange Haare, gelockt gesträhnt. Aus der Gedrungenheit reckte sich ein wilder, von Gewissheit gesättigter Charakter. Er hatte etwas merkwürdig Barbarisches, er leitete Heere, die Horden waren. Kein schneidend Intelligenter, sondern ein instinktsicherer, derber Egomane - noch nie sah ich Wallenstein so offensichtlich unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Erst in der Nähe des eigenen Todes machte ihn Melancholie wahrlich groß. Jetzt besaß er ein Geheimnis, vor dem die anderen hilflos posierten. Zum Schluss liegt er, großflächig blutbefleckt, wie der Heiland, den man vom Kreuz nahm. Vom Wallenstein zum Jesus Christus Superstar, das kann nur Brandauer.

An Peymanns Berliner Ensemble war er, wieder in der Regie von Peter Stein, der Dorfrichter Adam, im »Zerbrochnen Krug«. Ein Kerl der verrülpsten Anmaßung, der verdreckten Autorität, der vertrottelnden Amtsführung. Drei spärliche Haare auf der Glatze, dies letzte Sprießen, diese letzte kleine Antenne des versiegenden Wachstums in einem Humpel- und Krummkörper, der mit dem Wechsel vom Nachthemd zu Beinkleidern nur die Fassade der Lächerlichkeit und der feisten Verwitterung wechselt. Brandauer grunzt, schnarrt, schnieft, schnauzt, nuschelt, raunzt, röhrt, brüllt, schmollt, lauert. Ganz Saft und Kraft, dieser Kerl, der Saft freilich trübe, die Kraft müde, und das Lustspiel entrollt sich über dem verdutzten Bewusstsein eines Beamten in der Schlinge. Auf sehr besondere Weise vollzogen Stein und Brandauer eine kultische Kunstausübung, die gegen das Desolate heutiger szenischer Bilderfluten ihr Maß setzte, also: ihr so sauberes Gemäßigtsein. Theater, das seine Unangefochtenheit darin sah, dass es seiner Natur nach nichts mit einem Fortschritt im Bewusstsein zu tun hat. Die souveräne wie listige Trennung von Kunst und aktueller Wirklichkeit - das zelebrierte diese Aufführung geradezu stoisch, indem sie sich gleichsam in ein altes Gemälde zurückzog.

»König Lear« von William Shakespeare am Burgtheater Wien. Ein weiteres Kapitel Alterskunst, gemeinsam mit Stein. Brandauers König offenbarte zu Beginn einen überdreht frechen Schwung; und über kurze, harte Phasen eines eher lauernden als lodernden Grimms und eine schubweise Raserei geriet dieser Lear dann, unter der Grashalm-Krone des Wahnsinnigen, zum staunenden Idioten, der die Welt nicht mehr zu greifen vermag. Weil er sie - begreift. Brandauer rührte an, durch eine seltsam anmutende Zartheit, durch ein inneres Beben, das jede zentrumssüchtige Exaltiertheit vermied.

Das Kennzeichen des begnadeten Spielers ist - das dritte Geschlecht. Ein Komödiant ist dann außergewöhnlich, wenn er die Fähigkeit hat, männlich und weiblich, hart und weich zugleich zu wirken. Lodernde Aura - und zugleich doch, im besten Sinne, ein Gesicht aus totaler Formungsbereitschaft. Kälteste Kantigkeit und geschmeidige Eleganz. Dunkelmann und hellster Knabe. Ulrich Mühe war so einer, und so einer ist Klaus Maria Brandauer. Heute wird der Schauspielkünstler 75 Jahre alt.

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