Mutti Merkel wird’s nicht richten

Kerstin Wolter und Alex Wischnewski erklären, warum sich verhältnismäßig wenig Frauen politisch engagieren

  • Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
  • Lesedauer: 4 Min.

Falls es jemand noch nicht mitbekommen haben sollte: Auf dem jüngsten Bundesparteitag der Linkspartei in Leipzig hat sich der lange schwelende Konflikt in der LINKEN auf offener Bühne entladen. Dabei ging es um den richtigen Umgang mit einer erstarkenden Rechten und linke Antworten auf die Migrationsbewegungen. Um was es dabei nicht ging: um einen »Zickenkrieg«. Und doch wird die Auseinandersetzung um eine gesellschaftliche Frage immer wieder als Gerangel zwischen zwei Frauen dargestellt, die sich gegenseitig nicht das Rampenlicht gönnen.

Fast ist man froh, dass es immerhin um Macht gehen soll und nicht um einen Mann. Doch der bleibt natürlich auch nicht außen vor. So spricht Olaf Opitz vom »Focus« in einem Interview auf dem Parteitag fachkundig über die Politik von Sahra Wagenknecht: »Bei Wagenknecht ist das so, hinter einer schönen Frau steht ein starker Mann und das ist Oskar Lafontaine und der ist aus dem Saarland, der kennt die Probleme, der kennt da auch seine Kumpels.« Selbst die promovierte Ökonomin und Fraktionsvorsitzende Wagenknecht wird kurzerhand in den Schatten ihres Mannes gestellt.

Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Kerstin Wolter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der LINKE-Ko-Vorsitzenden Katja Kipping und hat das Bündnis für den »Frauen*kampftag« am 8. März mitgegründet. Alex Wischnewski engagiert sich im Netzwerk »Care Revolution«.

100 Jahre nachdem Frauen in Deutschland sich das aktive und passive Wahlrecht erkämpft haben, werden politisch engagierte Frauen nicht ernst genommen. Zwar wird Angela Merkel als »Politiker« (hier bewusst im generischen Maskulinum geschrieben) ernst genommen, aber ihr biologisches Geschlecht bringt die Gemüter einiger Journalisten immer wieder in Wallung. »Mutti Merkel« ist eben doch eine Frau, deren Kostüme oder ihr Dekolleté betonendes Kleid bei der Eröffnung der Oper in Oslo nicht unkommentiert bleiben können. Dem »Landesvater« werden ganz andere Eigenschaften zugeschrieben. Aber wann wurde eigentlich das letzte Mal ein männliches Staatsoberhaupt als »Papi« bezeichnet? Papi Kohl? Papi Adenauer? Noch nie gehört? Wir auch nicht.

Doch das »Nicht-ernst-nehmen« äußert sich nicht nur in sexistischer Berichterstattung, sondern auch im politischen Alltagsgeschäft. Das wurde zuletzt im Zuge von metoo deutlich. Natürlich wird dabei mehr über Berufspolitikerinnen gesprochen, doch auch an der Basis haben politisch aktive Frauen zu kämpfen.

Um gleich noch mit einem oft wiederholten Missverständnis aufzuräumen: Frauen sind nicht per se die besseren Menschen. Und mehr Frauen heißt eben nicht gleich mehr antisexistische und antikapitalistische Politik. Aber ohne Frauen bleibt jeder emanzipatorische Anspruch uneingelöst. Fakt ist, dass der Frauenanteil in der LINKEN nur bei knapp über einem Drittel liegt - Tendenz sinkend. Zeit also, an den Grundfesten zu rütteln, die Frauen daran hindern, politisch mitzumischen. Und das sind eben nicht nur Rollenstereotype, sondern auch die ökonomischen Verhältnisse.

Wenn Frauen weit häufiger schlecht bezahlt und prekär beschäftigt sind und gleichzeitig noch immer den größten Teil der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit übernehmen, dann bleibt ihnen schlicht wenig Zeit, sich noch einzubringen. Noch dazu sind Frauen nicht bereit, die wenige Zeit mit »mansplaining« zu verschwenden, also den Belehrungen männlicher Genossen zu so ziemlich allen Gesprächsthemen. Es ist deshalb nicht überraschend, dass viele Frauen sich lieber in einem karitativen Ehrenamt betätigen als in politischen Parteien.

Es geht also darum, die Strukturen selbst zu verändern. In Spanien kam mit den linken Bewegungen und Platzbesetzungen nach der Krise eine lebhafte Debatte um Feminisierung von Politik auf. Dahinter stehen die Ansprüche, eine Politik der ersten Person zu verfolgen inklusive Versammlungen und eine Infrastruktur, in der füreinander Sorge getragen werden kann. Das beinhaltet zum Beispiel die Kinderbetreuung und den Blick auf dominantes Redeverhalten. Es beinhaltet aber auch, die privaten Erfahrungen in eine Versammlung tragen zu können und sie dort als politisch anerkannt zu wissen.

Derzeit gibt es die Diskussion um ein paritätisches Wahlrecht, das die zahlenmäßige Gleichstellung von Frauen in den Parlamenten sichern soll. Auch wenn das Parteien dazu zwingen könnte, sich stärker für die Beteiligung von Frauen zu interessieren, muss eine solche Revolutionierung des Politikmachens von uns linken Frauen kommen. Männer werden es nämlich nicht richten - »Mutti Merkel« aber auch nicht.

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