Zeit ohne Heugabeln

»Love, Simon« erzählt vom Coming-out eines Teenagers in einer Gesellschaft, die Homosexualität weitgehend akzeptiert

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Schikaneur aus dem Footballteam, der verstockte Nachbar mit militärischem Hintergrund, die Mutter mit konservativem Familienbild, der Mitläufer, der seine eigene Homosexualität unterdrückt - die Klischees treffen noch von Fall zu Fall, doch Homophobie ist heute nicht mehr manifest. Die Zeit der Heugabeln und brennenden Kreuze ist vorbei. Es ist deshalb heute schwieriger geworden, eine leidlich interessante Coming-out-Handlung zu erzählen.

Der Film »Love, Simon« unternimmt diesen Versuch: von einem Coming-out zu erzählen in einer Gesellschaft, die Homosexualität weitgehend akzeptiert hat. Es geht damit eher um die Hintertüren, durch die sich aus dem gesellschaftlichen Konsens gestoßene Vorurteile ins Verhalten zurückschleichen. Kein Gesetz verbietet es, eine undramatische Handlung zu erzählen. Es gibt Leute, die mögen das sogar. Dieser Film ist fast durchweg kandiert und in Watte gepackt. Aufkommende Konflikte werden schnell gelöst oder lange verzögert.

Eigentlich hat Simon ein traumhaftes Leben: Er wächst in einer beschaulichen Kleinstadt auf, ohne finanzielle Sorgen, zwischen Familie und Freunden, von denen er geliebt wird und im Fall eines Coming-outs gar nichts zu befürchten hätte. Darunter leidet die Fabel und zerfällt in drei Teile: eine harmlose Komödie von 70 Minuten, die als gedehnte Exposition die Charaktere entfaltet, 20 Minuten dramatische Kollision, wo dann komplementär kaum Platz für Gedanken bleibt, und einen Schluss, der sich am ehesten als Happy-End-Groteske beschreiben lässt. Wenigstens kann man dem Film nicht vorwerfen, dass er aus seiner Alles-wird-gut-Haltung ein Geheimnis macht.

Den Schwächen der Konstruktion und der Glätte des Geschehens stehen geschickt entworfene Figuren gegenüber, die Zwischentöne spielbar machen. Hier ist nichts eindeutig.

Simons Vater zum Beispiel ist ein latentes Unbehagen an Homosexualität anzumerken. Er spürt, dass ihn irgendwas von seinem Sohn trennt, und versucht durch maskuline Albernheiten den Zugang zu ihm herzustellen, was die Distanz zumindest nicht geringer macht. Seine Unbeholfenheit steht in Konflikt mit seiner sentimentalen Seite und seinen liberalen Einstellungen. Simons Widersacher Martin, der ihn outet, handelt aus Schwäche, nicht aus Homophobie. Er, nicht Simon, ist der Außenseiter. Simons Mitschüler Ethan lebt seine Homosexualität offen, und das wird allgemein akzeptiert. Ethan darf schwul sein, weil er dem Klischee eines Schwulen entspricht. In der Rolle der Tunte ist der schwule Außenseiter festgehalten und somit entschärft. Wenn du schon anders bist, dann sei auch anders - ist der innere Gedanke der sekundären Homophobie.

Auch Simon selbst, den man vom Start weg gern hat, weil er witzig ist, klug und taktvoll, offenbart Untiefen. Das Geheimnis selbst scheint fast ebenso zu drücken wie die Angst, dass es herauskomme. So verstrickt er sich weiter und agiert wie ein Puppenspieler, der die Beziehungen seiner Freunde arrangiert. Mit einem Schwulen, der sich »Blue« nennt, verbindet ihn eine anonyme Brieffreundschaft, und als er sich in ihn verliebt, geht er ihm auf die Spur. In wiederkehrenden Parallelmontagen ändert sich in Simons Vorstellung das Gesicht von Blue, je nachdem, welchen seiner Bekannten er gerade verdächtigt, Blue zu sein. So tut er genau das, wovon er nicht will, dass es ihm geschehe: das Geheimnis eines anderen Menschen an sich reißen. »Das war nicht deine Entscheidung«, wird er am Ende Martin ins Gesicht schreien, »ich sollte derjenige sein, der entscheidet, wann und wo und wie und wer es erfährt. Und du hast mir das genommen.«

»Love, Simon«, USA 2017. Regie: Greg Berlanti; Darsteller: Nick Robinson, Jennifer Garner, Josh Duhamel. 110 Min.

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