Frühstück bei Orang-Utans

Borneo - üppige Pflanzenvielfalt, eines der weltweit größten Höhlensysteme und Heimat der letzten großen Menschenaffen Asiens.

  • Michael Juhran
  • Lesedauer: 4 Min.

Laut, wie Johnny Weissmüller im Tarzanfilm, ruft Murtadza allmorgendlich seine Freunde im Regenwald des Semenggoh Wildlife Centre nahe Kuching im malaysischen Sarawak zum Frühstück. Nach wenigen Minuten hangelt sich Orang-Utan-Mutter Saddamiah mit ihrem Neugeborenen an Lianen und gespannten Seilen von einem der 30 bis 40 Meter hohen Urwaldriesen herab. Kurz hinter ihr taucht auch Tochter Ruby auf. Murtadza hat inzwischen Bananen, Papaya und Süßkartoffeln auf einer hölzernen Futterplattform verteilt. Nach kurzem Zögern greifen die Orang-Utans beherzt zu und lassen sich das Frühstück schmecken. Gerade in dem Moment, als Murtadza auch die hartgekochten Hühnereier hervorholt, schrecken die Damen jedoch auf. Hoch oben im Blätterwald rauscht es, Baumkronen neigen sich, und plötzlich gleitet Ritchie aus dem grünen Dickicht heraus. Nahezu 100 Kilogramm Lebendgewicht schweben an langen Armen mit über zwei Metern Spannbreite auf den Futterplatz zu.

Ritchie ist der unangefochtene Chef der 30 Orang-Utans, die in dem 653 Hektar großen Naturreservat rund um das Wildlife Centre eine Heimat gefunden haben. Als er die Futterbühne betritt, räumen alle anderen respektvoll das Feld. Wählerisch probiert Ritchie die Bananen, greift sich ein Ei und stopft Kokosnussfleisch in den von großen Wangenwülsten umgebenen Mund. Schließlich spült er alles mit kräftigen Schlucken aus einer angebotenen Milchflasche herunter und lässt sich dabei auch nicht vom Kameraklicken der Besucher stören.

1975 als Rehabilitationszentrum für verletzte, verwaiste und aus der Gefangenschaft befreite Orang-Utans gegründet, hat sich das Wildlife Centre inzwischen deutlich gewandelt. Aus den elf eingelieferten kleinen Patienten sind stattliche Eltern geworden, die bereits 19 Kinder zur Welt brachten. Nach und nach konnten alle Orang-Utans in das Naturreservat entlassen werden. Ohne Zufütterung kommen die Tiere, die normalerweise in der Natur zumeist einzeln leben, nicht aus. Zu klein ist das Reservat, das von menschlichen Siedlungen umgeben ist. Im natürlichen Regenwald braucht jeder »Waldmensch« - so die Übersetzung von Orang-Utan - je nach Nahrungsangebot 100 bis 5000 Hektar, um überleben zu können.

Doch der Regenwald auf Borneo, wie auch auf der benachbarten Insel Sumatra, wird immer kleiner. Die letzten Rückzugsgebiete der einst weit verbreiteten Menschenaffen sind in dramatischer Weise bedroht. Der WWF geht davon aus, dass die Orang-Utans »zwischen 1973 und 2005 die Hälfte ihres Lebensraumes durch großflächige Waldumwandlung und Brandrodung verloren« haben. Einer kürzlich veröffentlichten Langzeitstudie von 38 internationalen Wissenschaftsinstitutionen zufolge verringerte sich der Bestand allein auf Borneo zwischen 1999 und 2015 um 148 000 Tiere, übrig geblieben sind geschätzt 70 000 bis 100 000. Damit gehören sie zu den am meisten gefährdeten Arten weltweit. Ob die dem Menschen genetisch so nahe stehenden Artverwandten überleben werden, hängt wesentlich davon ab, ob ihr Lebensraum weiter Ölpalmenpflanzungen und dem Holzeinschlag weichen muss.

Anderthalb Flugstunden entfernt, scheint der Regenwald rund um Mulu noch intakt zu sein. Touristen aus aller Welt zieht es in den Gunung-Mulu-Nationalpark, der neben seiner enormen Pflanzenvielfalt mit einem besonderen Phänomen aufwartet. Inmitten des Nationalparks starrt eine kleine Touristenschar an der »Deer Cave« auf den riesigen Eingang der Höhle. Kurz nach 17 Uhr schwirren Tausende von Fledermäusen in langgezogenen Formationen aus deren Innerem in den Abendhimmel. Nachdem sich der Pulk an den steil aufragenden Kalksteinfelsen über dem Eingang emporgeschraubt hat, beginnt die Jagd auf Insekten, von denen die Tiere in jeder Nacht 1,5 Tonnen vertilgen.

Die Höhle, die sie sich als Heimat auserkoren haben, gehört zu den größten der Welt. Allein schon der 415 Meter breite und 100 Meter hohe Eingang nötigt selbst passionierten Höhlenforschern Respekt ab. Rund drei Millionen Fledermäuse hängen tagsüber weit oben an den Höhlendecken. Vor einigen Jahren wurde dieses riesige dunkle Reich aufwendig mit Holzstegen und Leuchten für Touristen ausgebaut und zählt heute zu den Highlights auf Borneo. Hunderte lockt es täglich in den dichten Regenwald, um einen Bruchteil des Höhlensystems von Mulu zu erkunden. Das bringt Geld in die entlegene Region. Für Robert und seine Familie vom Stamm der Berawan sind die Einnahmen aus dem Transport von Touristen mit seinem Boot ein willkommener Zuverdienst.

Die Entwicklung des Ökotourismus könnte die weitere Abholzung des Regenwaldes auf der drittgrößten Insel unseres Planeten eindämmen. Ein bereits etabliertes länderübergreifendes Nationalparkgebiet im Hochland von Borneo sowie das vom WWF initiierte, 220 000 Quadratkilometer große Schutzprojekt »Heart of Borneo« geben Grund zur Hoffnung, dass auch die »Waldmenschen« überleben.

Infos

Malaysia Tourism Promotion Board:
Tel: (069) 460 923 4 20, www.malaysia.travel

Veranstalter: z.B. Lotus Travel, »Auf den Spuren der legendären Kopfjäger«, 9 Tage ab 1163 € p.P. im DZ,
www.lotus-travel.com

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