Immer mehr Nazis in Brandenburg

Verfassungsschutz zählt mehr Extremisten aller Art und möchte sie besser überwachen

»Wenn Polizisten teilweise krankenhausreif geschlagen werden, wird das in der Szene als Bullenschubsen verharmlost«, erzählt Brandenburgs Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger am Donnerstag, als er den Verfassungsschutzbericht 2017 vorstellt. Auf 520 Personen beziffert der Geheimdienst das Potenzial des Linksradikalismus im Bundesland. Das sind 20 mehr als ein Jahr zuvor. Einen Höchststand erreichte die Mitgliederzahl des Vereins »Rote Hilfe«, dem 225 Brandenburger angehören, darunter der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (LINKE).

»In der linksextremistischen Szene ist die ›Rote Hilfe‹ eine zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation«, sagt Nürnberger. »Sie kümmert sich unter anderem um Rechtsbeistand für linksextremistische Gewalttäter, auch um solche, die Polizisten angreifen.« Die Zahl linksradikaler Gewalttaten ist allerdings um 29 auf nur noch 24 gesunken und bewegt sich damit auf dem zumeist niedrigen Niveau der zurückliegenden 25 Jahre.

Wie immer in keinem Vergleich dazu steht das viel größere Problem mit dem Rechtsextremismus. Dafür nur zwei Beispiele aus dem vergangenen Jahr: 26. April, Königs Wusterhausen: Ein 64-Jähriger bedroht spielende Kinder mit einem Messer und ruft: »Ich stech euch ab, ihr scheiß Ausländer.« 29. Oktober, Neuruppin: Eine Sympathisantin des linksalternativen Jugendwohnprojekts »JWP Mittendrin« wird am Nachtschalter einer Tankstelle von Neonazis überfallen, geschlagen und getreten. Auf zwölf Seiten enthält der Verfassungsschutzbericht eine längst nicht vollständige Liste derartiger Straftaten. Allein 124 rechte Gewaltdelikte hat es 2017 gegeben. Immerhin waren das 43 weniger als im Jahr 2016. Es ist das erste Mal seit 2014, dass die Zahl rechter Gewaltdelikte in Brandenburg gesunken ist.

Der Verfassungsschutz zählt allerdings 1540 Brandenburger zur rechten Szene - und das sind 150 mehr als 2016, und es ist der zweithöchste Stand seit Beginn der Zählung 1993. Der Rekordwert war 1999 mit 1665 Personen erreicht worden. Von den jetzt 1540 Rechtsextremisten werden 1120 als gewaltbereit eingestuft. Das sind 110 mehr als im Jahr 2016.

Die neofaschistische NPD konnte im vergangenen Jahr nicht zulegen. Sie verlor unter dem Strich 20 Mitglieder und zählt jetzt nur noch 280 Getreue. Nach Einschätzung von Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger ist die Partei mit ihrer breit angelegten Anti-Asyl-Kampagne gescheitert. »Die NPD wollte damit die treibende Kraft der Protestbewegung innerhalb wie außerhalb des rechtsextremistischen Milieus werden. Ihre Aktivitäten sind im Jahr 2017 jedoch weitgehend zusammengebrochen«, sagt Nürnberger. Dagegen gelinge es der stramm nationalsozialistisch ausgerichteten Kleinpartei »Der dritte Weg«, einen Führungsanspruch geltend zu machen, obwohl sie unverändert nur 30 Mitglieder zähle.

Schwierigkeiten hat Brandenburg auch mit einer Muslimbruderschaft mit dem irreführenden Namen »Sächsische Begegnungsstätte« (SBS), die einen Gebetsraum in Brandenburg/Havel betreibt und in Senftenberg und Luckenwalde weitere einzurichten plant. »Die SBS nutzt gezielt den Bedarf der hier lebenden Muslime nach Gelegenheiten zum Gebet aus«, warnt Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Das Potenzial islamistischer Extremisten ist laut Verfassungsschutz um 30 auf 130 gestiegen. Dschihadisten mit Kampferfahrung bei der Terrormiliz IS sind mit falschen Papieren nach Deutschland eingesickert, heißt es. »Der dagegen gerichtete Aufwand der Sicherheitsbehörden ist hoch und erfordert entsprechende personelle und materielle Ressourcen«, sagt der Innenminister.

Mit Finanzminister Christian Görke (LINKE) liegt er da nicht auf einer Linie. Denn der belässt es im Personalbedarfsplan bei 94 Stellen für den Verfassungsschutz. Der Geheimdienst hätte gern 35 zusätzliche Stellen. Im Moment muss er mit 93 Kollegen auskommen, plus 14 Polizisten, die zeitweilig abkommandiert sind. Der Finanzminister möchte erst über eine Personalaufstockung diskutieren, wenn der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags seinen Abschlussbericht samt Empfehlungen vorgelegt hat. Innenminister Schröter versteht das nicht. Der NSU-Ausschuss richte den Blick doch in die Vergangenheit, sagt er. Es gehe hier aber um die Gegenwart.

Der Landtagsabgeordnete Björn Lakenmacher (CDU) fordert, der erhöhten Gefahr mit ausreichend Personal beim Verfassungsschutz zu begegnen. »Es ist mehr als kritikwürdig, dass nun auch im Entwurf des Doppelhaushaltes 2019/20 keine Stärkung des Verfassungsschutzes erfolgt«, sagt Lakenmacher. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) scheine »entweder nicht die Kraft oder den Willen zu haben, die Sicherheit zu stärken«. Angesichts der Zahlen des Verfassungsschutzberichtes sei dies »verantwortungslos«.

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