Blutiger Naturschutz

Auf tropischen Inseln dezimieren eingeschleppte Ratten die Vögel. Das verringert die Nährstoffzufuhr für die Korallenriffe. Von Michael Lenz

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Was haben Ratten mit Korallen zu tun? Rein gar nichts, sollte man annehmen. Ratten sind Landtiere. Korallentierchen haben ihre Heimat in tropischen Gewässern. Ratten können zwar schwimmen, doch selbst wenn es einer der Nager in die Nähe eines Korallenriffs schaffen würden, wären die Nesseltierchen sicher. Ratten können nicht tauchen. Und doch haben sie Einfluss auf das Geschehen unter Wasser.

Ein Wissenschaftlerteam um Nicholas Graham von der Universität Lancaster in England hat im Rahmen einer Untersuchung zum Einfluss von Nährstoffen aus Vogelkot auf die Korallen und die übrigen Riffbewohner herausgefunden, dass Ratten den Nährstoffkreislauf am Riff empfindlich stören, weil sie sich munter durch die Vogelwelt fressen.

»Seevögel sind absolut wichtig für solche Inseln«, sagt Graham. »Sie fliegen zum Fressen zu sehr ergiebigen Gebieten im offenen Meer. Dann fliegen sie zurück zu den Inseln und hinterlassen Guano - Vogelkot - im Erdreich. Das Guano ist reich an Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor. Bisher wussten wir nicht, inwieweit sich das auf die angrenzenden Riffe auswirkt.«

Für die kürzlich im Wissenschaftsjournal »Nature« veröffentlichte Studie hat Graham den Chagos-Archipel ausgewählt. Der aus sieben, weitgehend unbewohnten Atollen mit insgesamt 60 Inseln bestehende Archipel liegt gut 500 Kilometer südlich vom Ferienparadieses der Malediven im Indischen Ozean. Auf einigen dieser Inseln leben Ratten, die im 18. oder 19. Jahrhundert eingeschleppt wurden. Die nördlichen Atolle sind rattenfrei. Auf diesen, so ein Ergebnis der Studie, ist die Dichte von Fregattvögeln, Noddieseeschwalben und anderen Seevögeln 760 Mal höher als auf Inseln mit Ratten.

Auf Basis der Zahl der Vögel schätzten die Forscher die Guanomenge und den Stickstoffgehalt ihrer Ausscheidungen. Die Hinterlassenschaft der Vögel auf rattenfreiem Land, so ihr Ergebnis, ist um 250 Mal höher als die der Vögel auf den Ratteninseln. Mit Messungen der Stickstoffisotope in Böden und Pflanzen konnten die Forscher klar den Stickstoff von Land von dem unterscheiden, den die Vögel auf der Futtersuche im Indischen Ozeans aufgenommen hatten. Diese von Regen ins Meer gespülten Nährstoffe sind von hohem Nutzen für das Ökosystem in den Gewässern vor den Inseln des Chagos-Archipels.

Graham und seine Kollegen konnten zeigen, dass die Biomasse in den Riffen vor den rattenfreien Inseln um 48 Prozent höher war als an den übrigen Inseln. Auffällig war zum Beispiel der vor rattenlosen Inseln weitaus höhere Bestand an pflanzenfressenden Fischen, wie dem für die Gesundheit von Riffen wichtigen Papageifisch. Mit ihren schnabelartigen Zähnen fressen die Papageifische die niedrige Pflanzendecke an den Korallenriffen. Andere Papageifischarten futtern nur Algen. Durch diese Ernährungsweise tragen Papageifische erheblich zur natürlichen Erosion der Korallenriffe sowie zum Erhalt des Gleichgewichts zwischen Korallen, Seetang und Algen bei und schaffen gleichzeitig die Grundlage für neues Korallenwachstum.

Die Konsequenz der Forscher: Die Entfernung von Ratten muss Priorität bei Konservierungsmaßnahmen tropischer Koralleninseln erhalten. Das ist machbar, wie die Befreiung von schon 580 Inseln weltweit von Ratten gezeigt hat. »In dieser Zeit der beispiellosen Bedrohung der Korallenriffe durch den Klimawandel bietet die Stärkung der Produktivität und der wichtigsten Funktionen des Ökosystems den Riffen die bestmögliche Chance, weiteren Störungen zu widerstehen und sich von ihnen zu erholen«, sagt Graham.

Grahams Kollege und Ko-Autor der Studie Aaron MacNeil von der kanadischen Dalhousie-Universität erklärt, der Erhalt von Umweltsystemen könne manchmal eben auch »eine blutige Angelegenheit« sein. Es gebe Zeiten, so MacNeil, in denen man töten müsse. »Für die Ratten ist diese Zeit jetzt gekommen.«

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