Klang und Rauch

Mit der Neuinszenierung von Wagners »Lohengrin« in der Bilderwelt von Neo Rauch eröffnen die Bayreuther Festspiele

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wozu Bayreuth doch alles gut ist: stundenlang kann man in diesem Sommer ein Bild von Neo Rauch betrachten. Das sogar zum Bildertheater wird. Nicht grade auf bequemen Sitzen und von den Temperaturen wollen wir gar nicht reden. Da muss man dankbar sein für deutsche Vorsicht. Wenn ein Kreislauf kollabiert, ist für schnelle Hilfe gesorgt. Aber im Festspielhaus gibt es die Traum-Akustik halt nur zu Albtraumtemperaturen. Was beides irgendwie zu Neo Rauchs mit Realitätsversatzstücken spielendem Bilderuniversum passt. Man kann es dem Leipziger, seiner für die Damenkostüme zuständigen Frau Rosa Loy (und wohl auch Rauchs cleverem Galeristen Gerd Harry Lybke) nicht verübeln, dass sie bei diesem Lohengrin-Angebot aus Bayreuth zugegriffen haben. Wer kann da schon Nein sagen.

Kann man natürlich doch. Wenn man Alvis Hermanis heißt und einem die Flüchtlingspolitik Deutschlands nicht passt. Dann kündigt man einem Theater in Hamburg die Freundschaft, wenn es Solidarität zelebriert. Dass Yuval Sharon eingesprungen ist, ehrt ihn. Seine Möglichkeiten, ein Konzept wirklich zu entwickeln, waren dadurch freilich begrenzt.

Nein Sagen kann man auch, wenn man Roberto Alagna heißt und ein paar Wochen vor der Premiere merkt, dass man den Text nicht drauf hat. Da schmeißt man halt der Hügelherrin Katharina die Lohengrin-Partie vor die Füße. Richtig in Schwierigkeiten hat er damit allerdings nur seinen Ruf, nicht aber die Festspiele gebracht. Christian Thielemann, der in diesem Jahr mit dem »Lohengrin« seinen eigenen Bayreuther Kanon der zehn Stücke komplettiert, und der musikalischer Direktor auf dem Grünen Hügel ist, hat seinen Dresdner Lohengrin Piotr Beczała überzeugt, zu übernehmen. Der Pole hatte sich vor zwei Jahren an der Seite von Anna Netrebko schon als Firstclass-Lohengrin erwiesen. Ein Glücksfall.

In Wagners romantischster Oper kommt er (immer) mit dem Aplomb eines Wunders an. Bei Neo Rauch (dessen Bildästhetik diesmal so hegemonial dominiert, das man das Team auf seinen Namen verkürzen kann) gibt es da erst einen Energieschub mit blitzenden Leitungen auf einem Umspannwerk vor blaudunkel, wolkenverhangener Landschaft und eine Art Tarnkappenbomber en miniature als Platzhalter des Schwans. Lohengrin kommt gerade noch rechtzeitig, um Elsa aus der Klemme zu befreien. Noch während des laufenden Verhörs durch den König richten da schon ein paar Übereifrige den Scheiterhaufen für die Tochter des Herzogs. Was sich am Ende noch mal für Ortrud wiederholt. Doch auch sie entkommt dem Flammentod. Knapp aber aufrecht.

Zwei starke Frauen: die wunderbare Anja Harteros als selbstbewusste, personifizierte Unschuld und die auf den Hügel zurückgekehrte, legendäre Waltraud Meier als durchtriebene Machtpolitikerin. Dass die beiden irgendwie im Kampf gegen die Männerwelt, die sie an der langen Leine hält oder wie Lohengrin Elsa im orangefarbenen Brautgemach im Umspannhäuschen wörtlich fesselt, Verbündete sind, das sind Fährten, denen man durchaus folgen möchte. Hier bleiben sie Behauptung. Höchstens Andeutung.

Das Grundproblem dieses Bilder-Theaters ist der Triumph der Malerei über das Theater. Yuval Sharon war als dessen Anwalt dann doch zu schwach. Surreale Irritationen in seinen Traumwelten gehören zum Markenzeichen von Neo Rauch. Aber die Menschen im altholländischen Look mit Flügeln auszustatten, und alles was die Chöre mit all ihrem demonstrativen Opportunismus an Interpretationsspielraum bieten, im Tableau erstarrter Klein-Gesten verschwinden zu lassen, ist einfach zu wenig.

Schon zu Wagners ehrgeizigem Ziel eines Gesamtkunstwerkes gehörten die gemalten Prospekte. Dafür gestandene und auf autonomer Wirkung bestehende Maler zu verpflichten, ist nicht mehr als ein Experiment in einem Festspielbetrieb, der große Namen braucht. Schon über die Ausflüge Neo Rauchs in den dreidimensionalen Raum der Plastik ließe sich trefflich streiten. Um sich dann auch noch unbeschadet in die weiteren Dimensionen einer Handlung oder einer Verortung als Teil der Zeit- und der Rezeptionsgeschichte mit gleicher Perfektion zu erheben, bräuchte man schon die Wunderkräfte des Grals, von dem Lohengrin am Ende so überirdisch schön singt, dass Misstrauen aufkommt. Dass Lohengrin nicht freiwillig dorthin zurückkehren würde, wenn er nicht müsste, ist auch eine der Fragen im Stück mit dem Frageverbot auf der Agenda interpretierender Regie. Aber um die ging es hier nicht wirklich. Höchstens um Atmosphäre, Stimmung, Räume der Assoziation. Das Arbeiten in Bayreuth sei für ihn wie ein Kindergeburtstag gewesen, hat Neo Rauch auf der Pressekonferenz gesagt. Man merkt es.

Dafür war das Ganze auf der musikalischen Seite ein Erwachsenenfest. Neben den Powerfrauen und dem Schwanenritter garantiert Georg Zeppenfeld die Würde des Königs, sichert Eglis Silins die Verbindlichkeit des Heerrufers, haut Tomasz Konieczny ein Tick zu brachial auf die Bosheit von Friedrich Telramund, macht der Chor (vokal) allemal gute Figur.

Und Christian Thielemann? Der erweist sich mal wieder als ein - wenn nicht der - Statthalter Wagners auf Erden. Im Bayreuther Graben und mit seinem »Lohengrin« auf jeden Fall. Überirdische Klänge, mit eigenem Kunstwillen im Dienste der Vergegenwärtigung. Höchst transparent, in den Vorzügen der Bayreuther Akustik schwelgend. Das kann man kaum besser, höchstens anders machen. Großer Jubel mit ein paar Buhs fürs Blau.

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