Bilder eines dunklen Deutschland

Die Galerie König zeigt Fotografien von Andreas Mühe

  • Richard Rabensaat
  • Lesedauer: 4 Min.

Ganz oben hängen Angela Merkel und Helmut Kohl. Ganz unten ist der Rücken eines unbekleideten Mannes zu sehen, der in Richtung Sonnenuntergang schaut und dessen rechte Hand sich in Höhe seines Geschlechts befindet. Deutschland: ein Sittengemälde vor romantisch verklärter Landschaft. Das ist, so scheint es, das Thema von Andreas Mühe in der König- Galerie, »Subversive Praktiken« lautet der Titel der Ausstellung.

Die großformatigen Fotos hängen im Ausstellungsraum der vormaligen Kirche St. Agnes. Die Kirche und das Gemeindezentrum hat Johann König zu einem Kunstzentrum umgebaut, in dem weitere Galerien und Projekträume siedeln. Auf der rau verputzten Wand des ehemaligen Sakralraumes kommen die großformatigen Fotos bestens zur Geltung. Das dunkle Grau des Putzes und die von dunklen Schwarz-, Grau- und Brauntönen geprägte Ästhetik der Bilder ergänzen sich. Der hohe, weite Kirchenraum und die raffinierte Beleuchtung lassen die Bilder wie ein großartiges Historien- oder Passionsgemälde erscheinen. Für eine solche Inszenierung bedarf es allerdings auch eines entsprechenden ökonomischen Umfeldes. Über das die Galerie verfügt. König ist einer der größten Galeriebetriebe in Berlin, international tätig und verfügt nach eigenen Angaben über mehr als 40 Mitarbeiter.

Der Ausstellungstext zitiert den umstrittenen nationalistischen Staatsrechtler Carl Schmitt: »Subversiv, also machterschütternd ist, wer den Ausnahmezustand bewusst herbeiführt, ins Bild setzt und untergräbt«. Die mit einer analogen Großbildkamera aufgenommenen Fotos wollten Propaganda enttarnen, Erwartungen zerstören, Ordnungen unterlaufen, so der Text. Andreas Mühe nutze die Fotografie als ästhetisches Instrument, um Brechungen und Dekonstruktionen herzustellen, um über Hierarchien und Autoritäten nachzudenken. Der Fotokünstler hat in der Ausstellung verschiedene Werkzyklen wie »Obersalzberg«, »Neue Romantik« und »eine Deutschlandreise« zusammengeführt.

In der Fotoschau forme sich ein Bild von deutschem Leben, das wie eine »Familienaufstellung« sei, formuliert der Pressetext. Es ist allerdings eine sehr spezielle Familie, die sich ein Stelldichein gibt. Und es sind auch sehr besondere Räume, die Mühe mit seinen Fotos schildert. Nichts auf den Bildern ist zufällig. Menschen, Gegenstände, Orte, Beleuchtung, alles ist bis ins kleinste Detail sorgfältig inszeniert. Es entsteht ein dichtes Gewebe aus hochgradig artifiziellen Impressionen einer ganz besonderen deutschen Befindlichkeit. Devotionalien, kleine Kruzifixe stehen vor einer weißen Wand, aufgeschlitzte Rehböcke hängen an Fleischerhaken im Kühlhaus, zwei Pornodarstellerinnen sind beim Filmdreh von ihrem Team umlagert. Auf den meisten Bildern schält sich aus einem dunklen, nicht selten fast schwarzen Umfeld eine Figur, eine Landschaft, ein Gegenstand. In den Bildern kann der Betrachter wandern: von der Waldlichtung bei Nacht zum Weihnachtsbaum im geräumigen Familienhaus, in dem sich auch das Studierzimmer des Patriarchen und auf dem Dach die Pornokammer befindet.

Mühe bricht tatsächlich mit der recht üblichen Fotoattitüde, wie sie Wolfgang Tillmans oder auch Terry Richardson pflegen: Nebensächliches ohne weitere Dramatik zu fotografieren und möglichst auch unspektakulär zu inszenieren. Die Gegenwart bedürfe keiner weiteren Heroisierung und Überhöhung, verkünden nicht nur Fotografen wie die genannten. Genau gegen dieses Verdikt verstößt Mühe. Ob sich auf seinen Fotografien dann wirklich weitere »Inkonsistenzen« und »Brechungen« finden, ist eine andere Frage. Denn subversiv sind die Bilder eigentlich gerade nicht. Der von hartem Scheinwerferlicht vor schwarzem Hintergrund stehende unbekleidete Mann mit gefalteten Händen blickt ernst. Sein makelloser Körper ist aus der Vogelperspektive aufgenommen, was die Inszenierung aber nicht weniger heroisch erscheinen lässt. Sein Pendant findet er im in gleicher Weise arrangierten Uniformträger, der verantwortungsvoll, zum Dienst am Volk bereit erscheint. Ein Hirsch aus »Honeckers Jagdkammer« ist geschlachtet und blutet aus. Der vielfach preisgekrönte schwarze Prachthengst Totilas posiert edel mit weiß bandagierten Läufen.

Die Ästhetik der Fotos ist dunkel, aber über alle Maßen verführerisch, auch Leni Riefenstahl hätte ihre Freude daran, es ist eine düstere Inszenierung von »Deutschland«. Dieses Land hat mit dem der multikulturell geprägten Großstädte, in denen mittlerweile jeder vierte Mitbürger einen Migrationshintergrund hat, wenig gemein. Die soziale Realität einer Gesellschaft, in der es für eine Vielzahl von Bürgern notwendig ist, in mehreren schlecht bezahlten Jobs zu arbeiten, findet sich in den Bilden nicht. Es ist das Deutschland einer geisterhaften »dunklen Romantik«, das sich aus der Gegenwart verabschiedet hat.

So stellen die Fotos dann doch wieder eine subversive und subjektive Brechung der wahrnehmbaren Realität dar. Selbst die Fußballfangemeinde der Ultra-Dynamos erscheinen nicht in einer Reportagefotografie, sondern als maskierte und bedrohlich wirkende Menschenmasse, inszeniert vom Fotografen in der Semperoper. In dem Bild stecke »ungeheuer viel Energie«, erklärt der Fotograf, die Semperoper sei für das Foto geentert worden, ohne dass auch nur ein einziger Kratzer hinterlassen worden sei. Hochenergetisch aufgeladen sind die Bilder von Mühe sicherlich. Fraglich ist, in welche Richtung sich die Energie bewegt.

Bis 19. August, König-Galerie, Alexandrinenstr. 118-121, Mitte

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