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Der Wunderbrunnen am Ebertplatz

Nordrhein-Westfalen: Wie ein früherer Angstort in Köln zum beliebten Treffpunkt wurde

  • Jonas-Erik Schmidt, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sonne ist schon fast untergegangen, aber niemand denkt daran, nach Hause zu gehen. Es herrscht Festival-Stimmung auf dem Ebertplatz in Köln - vergleichbar mit der Stimmung, wenn die letzte Band schon gespielt hat und man noch ein bisschen vor den Zelten zusammensitzt. Nur: Es gibt auf dem Kölner Ebertplatz keine Band. Nur einen Brunnen. Und dass drum herum trotz einbrechender Dunkelheit noch Menschen sitzen, kann als kleines Wunder gelten.

Im Herbst 2017 galt der Ebertplatz, eine Art Beton-Schlund im Norden der Stadt, als praktisch nicht mehr zu retten. Wer ihn überqueren musste, tat das oft mit einem ziemlich mulmigen Gefühl und so schnell wie möglich. Drogendealer haben sich in den vergangenen Jahren breitgemacht, der Brunnen in der Mitte war stillgelegt, mehrere Rolltreppen abgeschaltet. Der Platz war leergefegt, ein Angstort. Im Oktober 2017 wurde ein 22-Jähriger erstochen, es soll sich um einen Streit im Drogen-Milieu gehandelt haben. Der Prozess läuft noch.

In deutschen Städten gibt es einige solcher Plätze, die erst vernachlässigt und dann irgendwann aufgegeben werden. Am Kölner Ebertplatz lässt sich etwas beobachten, das man in solchen Fällen oft gar nicht mehr für möglich hält: eine Rückeroberung.

Nachdem die Gewalteskalation den Platz auch deutschlandweit in die Schlagzeilen gebracht hatte, war es in der Stadtpolitik hektisch geworden. Köln, Straßenkriminalität, großer Platz: Für das Kölner Image ist das eine toxische Kombination - Stichwort Silvesternacht. Mit Blick auf den Ebertplatz gab es weitgehende Einigkeit, dass die Probleme auch mit der unglücklichen Architektur zu tun haben: Der Platz ist schlecht einsehbar und hat dunkle Ecken. Ein Komplettumbau ist aber erst ab 2020 möglich. Im März wurde daher ein sogenanntes Zwischennutzungskonzept beschlossen. Es wurde Geld lockergemacht und mit Anwohnern und Initiativen an einem Kulturprogramm gearbeitet.

Man kann sagen, dass der Ebertplatz dann mit einer recht naheliegenden Idee endgültig wachgeküsst wurde: Der Brunnen wurde repariert und wieder angestellt. Der Metallbildhauer Wolfgang Göddertz hatte die »Wasserkinetische Plastik« einst entworfen. Das Besondere ist, dass der Brunnen begehbar und eigentlich ein Wasserspielplatz ist, auf dem es kreuz und quer spritzt. Die Legende besagt, dass Göddertz die Idee zu dem Brunnen beim Teelöffelspülen kam.

»Ich habe mir wirklich den Mund fusselig geredet. Niemand wollte oder konnte sich richtig vorstellen, welche Wirkung der Platz haben kann, wenn der Brunnen läuft«, berichtet Grischa Göddertz, sein Sohn. Schon sein Vater habe sich die Zähne daran ausgebissen, den Ende der 1990er aus Kostengründen abgestellten Brunnen wiederzubeleben. Aber erst im Jahr nach seinem Tod 2016 kam wieder Bewegung in die Sache. Der Sohn hatte sich den Brunnen bereits im Sommer 2017 angeschaut. Danach wurde überschlagen, was eine Restaurierung kosten würde. Als die Diskussion im Herbst hochkochte, gab es schon Zahlen - 230 000 Euro wurden am Ende veranschlagt.

»Jetzt erklärt sich alles von selbst«, sagt Göddertz. »Der Brunnen ist jetzt das Hauptargument für Leute, sich rund um den Platz zu engagieren, zum Beispiel indem sie Blumen gießen.« Eltern mit ihren Kindern kommen nun zum Ebertplatz, um im Wasser zu spielen. Dazu wurde eine Holzplattform zum Sitzen gebaut. Selbst die stillgelegten Rolltreppen sollen nun umgebaut und zu Kunstwerken werden - unter anderem zu einer Aussichtsplattform und einer Rutsche. »In Bayern fährt man zu einem See in den Voralpen, in Köln fährt man mitten in der Stadt zum Ebertplatz«, sagt der Künstler Oliver Kruse, der eine der Rolltreppen umfunktionieren wird.

Die Dealer sind nach Angaben der Polizei zwar immer noch nicht vertrieben. Aber sie bestimmen nicht mehr das Gesicht des Ebertplatzes. Nun überlegt man, wie es im Winter weitergehen kann, wenn der Brunnen nicht mehr läuft.

»Die Frage - nicht nur am Ebertplatz - ist ja: Was machen wir mit unseren Plätzen?«, sagt Nadine Müseler vom Kölner Kulturamt. Wenn niemand mehr komme, werde häufig nach Polizeikontrollen gerufen - damit sich nicht Kriminelle breitmachen. »Da ist das Modell, sich einen Platz mit Kultur, Veranstaltungen und partizipativen Aktionen zurückzuerobern, sicherlich vielversprechender.« dpa/nd

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