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Trügerisches Vorkaufsrecht

Bewohner*innen aus der Gleimstraße in Prenzlauer Berg hoffen auf Schutz vor Investoren

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Haus in der Gleimstraße 56 ist eines der wenigen Mietshäuser, die im Szeneviertel in Prenzlauer Berg in den vergangenen Jahren nicht den Besitzer gewechselt haben. 30 Wohnungen gibt es da, zum durchschnittlichen Quadratmeterpreis von rund sieben Euro. Im Erdgeschoss ist eine deutsch-spanische Kita angesiedelt.

Im Juni wurde das Haus verkauft. Nach Informationen der Mieter*innen ist die Gesellschaft TSC Berlin Pi GmbH im Grundbuch als Käufer vorgemerkt. Sie soll die Immobilie für 7,9 Millionen Euro erworben haben. Die Gesellschaft war für »nd« am Dienstag zunächst nicht erreichbar.

Allein der hohe Kaufpreis ist für die Mieter*innen Anlass zur Sorge - denn eine derart große Investition muss sich rentieren. Die Bewohner*innen befürchten daher teure Modernisierungsmaßnahmen, um so eine Erhöhung der Mietpreise zu rechtfertigen. »Wir gehen vom Schlimmsten aus, das zeigen ähnliche Fälle im Kiez und in anderen Bezirken«, sagt Lothar Gröschel, Mieter und Mitglied des Vereins »Gleim 56«. Die Hausgemeinschaft hat den Verein gegründet, um auf die Situation der Mieter*innen aufmerksam zu machen und Pankow zur Nutzung seines Vorkaufsrechts zu drängen.

Dieses Recht ermöglicht es Bezirken, der wachsenden Verdrängung durch steigende Mieten entgegenzuwirken. In sogenannten Milieuschutzgebieten, von denen es laut Berliner Mieterverein in der Stadt inzwischen 45 mit 680 000 Bewohner*innen gibt, können die Bezirke Wohnhäuser kaufen, bevor es private Investoren tun. Im Fall der Gleimstraße 56 hat Pankow bis zum 10. September Zeit, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Die Mieter*innen hoffen, dass damit dann keine Mietsteigerungen auf sie zukommen.

Wie sich jedoch auf eine parlamentarische Anfrage von FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja herausstellte, schützt auch das staatliche Vorkaufsrecht nicht per se vor Mieterhöhungen. Aus der Antwort von Wohnsenatorin Katrin Lompscher (LINKE) auf die Anfrage geht hervor, dass es in gut einem Viertel der vom Land Berlin durch das Vorkaufsrecht erworbenen Wohnhäuser »Abweichungen« von den auf maximal zwei Prozent begrenzten Mieterhöhungen pro Jahr gab.

In diesen Fällen stimmten die Bewohner*innen der fraglichen Häuser laut Lompscher den Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete freiwillig zu. Das könne nach Bundesrecht bis zu 15 Prozent Aufschlag innerhalb von drei Jahren sein. Dies sei vor dem Erwerb des Gebäudes durch die Bezirke zwischen dem zuständigen Bezirksamt und der Mieterschaft so ausgehandelt worden, so die Senatorin weiter.

Pauschale Abweichungen von der Kooperationsvereinbarung sieht der Senat laut Lompscher kritisch. Jedoch müssten städtische Gesellschaften wirtschaftlich arbeiten, weshalb der Senat eine freiwillige Zustimmung der Mieter »noch für vertretbar« halte, wenn diese vor Ausübung des Vorkaufrechts im Dialog zustande gekommen sei. »Die Zustimmung zur Mieterhöhung darf aber nicht zur Folge haben, dass die Mieten auf lange Sicht ein Niveau erreichen, das dazu führt, dass die Mietpreise für die derzeitigen Mieter*innen unerschwinglich werden und eine Verdrängung stattfindet«, so Lompscher. Wie das reguliert wird, bleibt fraglich. »Die Anfrage offenbart, was die Linkskoalition nicht wahrhaben will: Die Nutzung des Vorkaufsrechts schützt Mieter nicht vor steigenden Mieten«, schlussfolgert Sebastian Czaja aus der Antwort Lompschers.

Ob es bei der Gleimstraße 56 überhaupt zu einem Kauf durch den Bezirk kommt, ist derzeit noch in der Schwebe. Das hat jedoch nichts mit dem Unwillen des Bezirks zu tun - Pankow will sein Vorkaufsrecht für die »Gleim 56« ausüben. Doch die Immobilie ist zu teuer. »Dem Bezirk sind da die Hände gebunden«, sagt Tanja Kapp, Mitglied des Mietervereins aus der Gleimstraße. Selbst mit den zehn Prozent Zuschuss zum Kaufpreis durch das Land Berlin könnte das Bezirksamt den Kauf - fast acht Millionen Euro - nicht finanzieren. »In unserem Fall ist das schlicht nicht ausreichend«, so Kapp. Denn es wird sich wohl keine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft finden, die zu einer derartige Investition bereit ist.

Hier kommt nun Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ins Spiel. Von ihm erhofft sich der Mieterverein eine zusätzliche Finanzspritze, um so den Kauf durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft zu unterstützen. Damit würde der Senat »ein klares politisches Signal an die Menschen in der ›Mieterstadt Berlin‹ senden, dass der Wohnungsmarkt nicht allein Renditeinteressen preisgegeben wird«. Das Bezirksamt muss dem Käufer zunächst eine Abwendungsvereinbarung vorschlagen, mit der dieser sich zu den Erhaltungskriterien des Milieuschutzes verpflichten könnte. Die Frist für die Vereinbarung endet am 10. September. Für Tanja Kapp und die anderen Mieter*innen aus der Gleimstraße 56 heißt es nun abzuwarten. »Jetzt steht und fällt alles mit der Landesebene.«

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