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Verharmlosung »rechter Tendenzen« in Sachsen

SPD-Chef Dulig sieht Mitverantwortung beim Koalitionspartner CDU / LKA-Mitarbeiter hat Zugriff auf sensible Daten

  • Lesedauer: 5 Min.

Dresden. Der sächsische LKA-Mitarbeiter, der bei einer Pegida-Demonstration Journalisten bepöbelte, soll einem Medienbericht zufolge Zugriff auf sensible Ermittlungsdaten haben. Nach einem MDR-Bericht vom Donnerstag hat der Mann Zugriffsrechte für das Zentrale Ausländerregister (ZAR) und andere Datenbanken. Das attackierte ZDF-Reporterteam und die Dresdner Polizeiführung wollten sich am Freitag zu einem Gespräch treffen. SPD-Landeschef Martin Dulig wies dem Koalitionspartner CDU indes eine Mitverantwortung im Fall Dresden zu.

Der LKA-Mann, der die Journalisten am Rande einer Demonstration von AfD- und Pegida-Anhängern verbal attackierte, ist Tarifangestellter im Landeskriminalamt und Medienberichten zufolge dort im Dezernat für Wirtschaftskriminalität eingesetzt.

Wie der MDR unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtete, ist er Buchprüfer bei Ermittlungen in komplexen und schweren Straftaten und hat in dieser Funktion Zugriff auf das polizeiliche Erfassungssystem IVO, in dem alle Straftaten und Ermittlungsvorgänge registriert werden. Überdies soll er demnach Zugriffsrechte für das ZAR haben.

Das sächsische Innenministerium habe die Informationen mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen weder bestätigen noch dementieren können, berichtete der Sender. Nach MDR-Recherchen überprüft das LKA auch mögliche Verbindungen des Manns zur rechten Szene in Freital. Grund dafür sei, dass der Mann das ZDF-Team bei den Dreharbeiten zu der Demonstration gemeinsam mit dem Gründer einer rechten Freitaler Bürgerinitiative, René S., gestört habe. Die Initiative hatte die Proteste gegen Flüchtlinge in Freital mitorganisiert.

Der LKA-Mann war während des Besuchs von Merkel am Donnerstag vergangener Woche in Dresden privat auf einer Demonstration von Anhängern der AfD und der rassistischen Pegida-Bewegung unterwegs. Dabei griff er ein ZDF-Kamerateam verbal an. Die Journalisten wurden anschließend etwa eine Dreiviertelstunde lang von der Polizei festgehalten.

Das ZDF-Reporterteam, das für die Sendung »Frontal 21« unterwegs war, und die Dresdner Polizeiführung wollten sich nach Angaben eines ZDF-Sprechers am Freitagnachmittag in Dresden treffen. Dresdens Polizeichef Horst Kretzschmar hatte die Journalisten eingeladen.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hatte am Donnerstag eine umfassende Prüfung des Vorfalls zugesichert. Der betreffende LKA-Mitarbeiter sollte befragt werden und dafür seinen Urlaub unterbrechen. Auch mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen werden nach LKA-Angaben geprüft.

Dulig: »Verharmlosung von bestimmten rechten Tendenzen«

SPD-Chef Dulig kritisierte auch mit Blick auf die CDU, es habe »jahrelang eine Verharmlosung von bestimmten rechten Tendenzen in Sachsen« gegeben. »Von daher sind wir jetzt konfrontiert von den Auswirkungen auch der Versäumnisse der letzten Jahrzehnte«, sagte der Vizeministerpräsident im ARD-»Morgenmagazin«. Kritiker warfen den seit 1990 allein oder mit einem Partner regierenden Christdemokraten wiederholt vor, rechtsextreme Tendenzen im Freistaat zu lange ignoriert und verharmlost zu haben.

Dulig warnte aber davor, es dürfe jetzt nicht »das ganze Land in Geiselhaft von Rechten« genommen werden. Das werde der Vielfalt in Sachsen nicht gerecht. Zudem müssten Polizisten besser geschult werden. In den Einsatzbefehlen müsse es klare Hinweise geben, dass die Arbeit der Presse zu unterstützen ist, so wie es auch in anderen Bundesländern üblich sei.

Sachsens Grüne verlangten unterdessen eine bessere Aus- und Fortbildung der Polizei im Umgang mit Medienvertretern. Ein solcher Antrag solle bei der nächsten Parlamentssitzung gestellt werden, teilte die Landtagsfraktion am Freitag in Dresden mit. »Alle Grund- und Menschenrechte, zu denen die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung zählen, müssen der Polizei als Inhaberin des Gewaltmonopols in Fleisch und Blut übergehen«, erklärte Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann. Die Kenntnisse darüber dürfen nicht länger nur ein Bruchteil der Ausbildung sein. »Sie müssen, wie das Schießtraining, durch regelmäßige Fortbildung, Schulung und Information eingeübt und gefestigt werden.«

Juristen streiten über Vorgehen der Polizei gegen Journalisten

Unter Juristen ist unterdessen umstritten, ob die Kontrolle der Journalisten zulässig war. »Ich sehe in dem Verhalten der Polizisten keinen offensichtlichen Rechtsverstoß. Das Vorgehen war aus meiner Sicht im Rahmen des Zulässigen«, sagte Rafael Behr, Professor an der
Hamburger Akademie der Polizei. »Wenn eine Strafanzeige vorliegt, müssen Polizisten die Identität der Beteiligten feststellen.« Es stelle sich aber die Frage, ob das Vorgehen der Polizei verhältnismäßig war und ob die Beamten deeskalierend handelten. Insgesamt könne er keinen Rechtsverstoß erkennen.

Ganz anders sieht das Ernst Fricke aus Landshuts, der als Professor an der Katholischen Universität Eichstätt Medienrecht lehrt. Grundsätzlich sei die Polizei dazu angehalten, Journalisten bei ihrer Arbeit zu unterstützen, sagt er der dpa in Dresden. Das geht etwa aus einer Vereinbarung der Innenministerkonferenz mit dem Presserat hervor. Darin heißt es: »Die Polizei unterstützt bei ihren Einsätzen, auch bei Geiselnahmen und Demonstrationen, die Medien bei ihrer Informationsgewinnung.« Das sei in Dresden nicht geschehen. Die
Polizei habe im Gegenteil die Journalisten 45 Minuten an ihrer Arbeit behindert.

Der SPD-Politiker Albrecht Pallas möchte die betroffenen ZDF-Reporter im Innenausschuss des Landtages anhören, damit die Parlamentarier sich ein komplettes Bild machen können. Weiter sagte der gelernte Polizist, man müsse der Tatsache ins Auge blicken, dass
es »eine neue Strategie der Rechten ist, durch gezielte Anzeigen bei Versammlungen Journalisten und Polizisten zu binden und dadurch das Geschehen zu verkomplizieren«. Agenturen/nd

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