Das geheime Leben des Kleinhirns

  • Lesedauer: 2 Min.

Der Blick in die aktuelle Bestsellerliste eines bekannten Hamburger Nachrichtenmagazins (Rubrik: Sachbuch) zeigt, was diese Gesellschaft derzeit besonders braucht: Rat. Auf Platz eins liegt, und das schon seit Wochen, das Buch »Der Ernährungskompass«. Wer das gelesen hat, so verspricht es das Buchcover, kennt »die 12 wichtigsten Regeln der gesunden Ernährung«. Auf dem zweiten Platz rangiert »Mit 50 Euro um die Welt«. Zielgruppe dieses Buches sind, wie die Formulierung »um die Welt« schon sagt, nicht Hartz-IV-Empfänger (sonst hieße es ja: »Mit 50 Euro bis zum Ende des Monats«), sondern Abiturienten (der Autor ist 19!), die den besonderen Kick suchen, die besondere Herausforderung, bevor es in die Tretmühle Universität geht. Dieses Training ist für die gelangweilt-gestressten Mittelschichtskinder eine gute Schule fürs Leben, denn viel mehr als 50 Euro können sie in den Praktika, die sie nach dem Studium absolvieren, in der Hoffnung, irgendwann einen befristeten Job zu ergattern, auch nicht verdienen. Auf Platz vier liegt übrigens Peter Wohllebens »Das geheime Leben der Bäume«. Ja, was die Bäume so miteinander zu reden haben, wollten wir schon immer wissen.

Um nicht ungerecht gegenüber der Gesellschaft zu sein: Bücher über Faschismus, die AfD oder Donald Trump haben es auch auf die ersten zehn Plätze geschafft. Und hoffnungsfroh stimmt, dass sich ein Buch weiterhin auf Platz 6 halten kann, das das Zeug hat, zum Klassiker der Ratgeberliteratur zu werden: »Kleinhirn an alle« des kongenialen Lebensberaters Otto Waalkes! Wer das im Rucksack mit sich führt, wenn er mit 50 Euro in der Tasche um die Welt reist, dabei einsame Wälder durchstreift, um den Bäumen zu lauschen, und sich gesundheitsbewusst vom reich gedeckten Tisch von Mutter Natur ernährt, der braucht sich vor nichts zu fürchten. Denn, wie wir aus der medizinischen Ratgeberliteratur wissen, ist das Kleinhirn für die unbewusste Planung zuständig. Und das Unbewusste wird immer wichtiger in einer Zeit der bewussten Sinnlosigkeit. jam Foto: photocase

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal