Profitable Fluchtursachenbekämpfung

Die Kanzlerin setzt darauf, dass Entwicklung mithilfe der deutschen Wirtschaft die Migration bremst

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind fast parallel auf Afrika-Reise: Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Während der katholische Herz-Jesu-Sozialist nach Äthiopien und Mosambik derzeit in Botswana weilt, dem Vorzeigeland Afrikas in vielen politischen und sozialen Aspekten, führt die Reise der Pastorentochter nach Senegal, Ghana und Nigeria. Just auf dem vergangenen Katholikentag betonte Merkel die Verantwortung Deutschlands und Europas für Afrika. »Nach Jahrhunderten der Fremdbestimmung sollen nun wie auf einen Knopfdruck plötzlich alle Unternehmer werden und super regieren und alles ganz toll machen«, sagte Merkel im vergangenen Mai und fügte hinzu: »Da sind langfristige Schäden entstanden.«

Auf Knopfdruck wird die von Merkel und Müller erwünschte wirtschaftliche Entwicklung in Afrika sich ganz sicher nicht vollziehen. Wirtschaftliche Perspektiven seien wichtig, weil es in den afrikanischen Staaten viele junge Menschen gebe, »die Ausbildungs- und Arbeitsplätze brauchen«, sagte Merkel am Sonntag in ihrem wöchentlichen Video-Podcast. »Deshalb müssen wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika stärken.« Dabei gehe es nicht nur um »klassische Entwicklungszusammenarbeit«. Konkrete Zahlen nannte Müller in Äthiopien, das unter dem neuen gerade mal 42-jährigen Premier Abiy Ahmed seit dessen Amtsantritt im April einen rasanten Wandel erfährt. »Jedes Jahr kommen zwei Millionen junge Menschen neu auf den äthiopischen Arbeitsmarkt. Afrikaweit sind es rund 20 Millionen Menschen. Genau da setzen wir an: Die jungen Leute brauchen Ausbildung und Jobs - deswegen führen wir gemeinsam mit Äthiopien ein Berufsbildungssystem nach deutschem Vorbild ein und setzen Anreize für private Investitionen«, ließ Müller in Addis Abeba verlauten.

Afrika kann wirtschaftliche Entwicklung, Ausbildung und Arbeitsplätze fraglos gebrauchen. Doch Müller und Merkels Credo, mit wirtschaftlicher Entwicklung Fluchtursachen zu bekämpfen klingt zwar gut, ist aber empirisch widerlegt. »Die ganze Fachwelt ist sich in diesem Punkt ausnahmsweise einig: Wenn das Haushaltseinkommen in armen Ländern ansteigt, geht mitnichten die Migration zurück, sondern steigt erst mal an. Das ist der sogenannte migration hump«, so der Entwicklungsökonom Helmut Asche gegenüber »nd«. »Dieser statistische Migrationsbuckel besagt quasi, dass man den ältesten Sohn nach Europa schickt, sobald es das Einkommen der Familie ermöglicht. Erst auf höheren Einkommensniveaus nimmt der Migrationsanreiz wieder ab.«

Merkel reist begleitet von einer Wirtschaftsdelegation nach Senegal, Ghana und Nigeria, allesamt Länder, für die der statistische Migrationsbuckel noch nicht überwunden ist. Ihre Stippvisite wird aus Kreisen der deutschen Wirtschaft begrüßt: »Die Reise, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation in drei afrikanische Länder antritt, ist ein gutes Signal - sowohl an die deutsche Wirtschaft als auch an unsere afrikanischen Partner«, so Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Auch ansonsten liegt Liebing durchaus auf Kurs von Merkel und Müller: »Die deutsche Wirtschaft leistet mit ihren Investitionen einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung in vielen Ländern und trägt zu deren Entwicklung bei. Die einzige nachhaltige Form der Entwicklungshilfe ist die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort, deshalb müssen wir Entwicklungshilfe viel stärker wirtschaftsorientiert ausrichten«, sagte Liebing.

An Wirtschaftsorientierung fehlt es bei der deutschen Afrikapolitik nicht. Im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft 2017 verabschiedete die Bundesregierung mit den ausgesuchten Partnerländern Tunesien, Côte d'Ivoire und Ghana die Initiative »Compact with Africa«. Alle drei sollen als Belohnung für ihre Reformbereitschaft Hilfe bei der Förderung von privaten Investitionen erhalten - auf Kreditbasis. Ausgeblendet wird, was passiert, wenn ein Staat nicht in der Lage sein sollte, die Kredite zurückzuzahlen und die Schuldenindikatoren sind jetzt schon bedenklich.

Dass es nicht nur um wirtschaftliche Entwicklung in Afrika geht, sondern vor allem auch darum, die Zuwanderung aus Afrika zu begrenzen, sprach Merkel offen an: Wichtiges Gesprächsthema bei ihrer Reise werde auch die »illegale Migration«, sagte die Kanzlerin am Sonntag. »Afrika hat viele Konflikte, da fliehen zum Teil Menschen unter sehr sehr schwierigen Bedingungen.«

Senegal und Ghana gelten aus deutscher Sicht als sicheres Herkunftsland, Nigeria wegen der Terrorsekte Boko Haram nur mit Einschränkung. Derzeit leben 14 000 Bürger aus Ghana, Nigeria und Senegal in der Bundesrepublik, die offiziell nicht bleiben dürften. »Wir setzten darauf, dass freiwillige Rückkehr vor Zwangsrückkehr abgewickelt wird«, sagte Merkel bei einem Berlin-Besuch des ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo im Februar. Diese Forderung dürfte auf allen drei Stationen wiederholt werden, denn bisher fand sie wenig Gehör. Und auch in dieser Angelegenheit weiß Merkel Entwicklungsminister Müller an ihrer Seite: »Die Probleme in Afrika, insbesondere die des Bevölkerungswachstums, könne man nicht durch Zuwanderung nach Europa lösen.«

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