Heißer Herbst nicht nur in Warschau

Konservative Regierungspartei PiS will bei den Lokalwahlen liberale Hochburgen angreifen

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 21. Oktober entscheiden die Polen über künftige parteipolitische Konstellationen in den Sejmiks, das sind regionale Selbstverwaltungskörperschaften, Kreistagen sowie Gemeinderäten und wählen Bürgermeister, Ortsvorsteher und Stadtteilräte. Obwohl der reguläre Wahlkampf eigentlich erst nach der Verkündung des Wahltermins erlaubt ist, also seit dem 14. August, war er inoffiziell bereits seit dem Frühjahr in vollem Gange. Die Widersprüche zwischen dem nationalkonservativen Regierungslager und der liberalen Opposition bestimmen auch die politischen Fehden in den Großstädten. In Warschau etwa liefern sich die beiden Kontrahenten Patryk Jaki (PiS) und Rafał Trzaskowski (PO, Nowoczesna) schon seit Monaten einen medialen Schlagabtausch, der hart an der Gürtellinie geführt wird. Während Trzaskowski vor allem für die »Wiederkehr der Demokratie« einsteht, versucht Jaki, unentschlossene Wähler zu erreichen, für die der Begriff »Politik« allenfalls für belanglose Debatten steht.

Metropolen wie Warschau und Gdańsk gelten als traditionelle Bastionen der Bürgerplattform und stellen für den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński daher die letzten Hindernisse auf dem Weg zur »nationalen Revolution« dar. Um die PO von den lokalen Sockeln zu stoßen, hatte seine Partei vor zwei Jahren ein Gesetz vorgeschlagen, das Warschau um 32 Gemeinden erweitern sollte - in denen viele konservative Wähler beheimatet sind. Doch solcherlei arglistigen Schritte braucht die PiS offenbar gar nicht. In den Umfragen hat der 33-jährige Jaki seinen Konkurrenten fast eingeholt. Der energische Jurist verdankt dies nicht zuletzt seiner medialen Präsenz als Chef einer Untersuchungskommission, die rigoros mit der hauptstädtischen Immobilienmafia abrechnet.

Zeitgleich erlaubte sich Gegner Trzaskowski eine ganze Reihe von Fehltritten. Seine »blaue Sitzbank«, auf der er die Bürger Warschaus zum Gespräch empfängt, ist inzwischen zum festen Bestandteil von Kneipenwitzen geworden. Trzaskowskis Hausbesuch-Kampagne »Offene Türen für Warschau« endete ebenso mit einem Fiasko: Als der PO-Kandidat völlig unverhofft von einer älteren Frau gebeten wurde, ihre Wohnzimmertür zu reparieren, versuchte er dem Schaden mit gewöhnlichem Tesafilm beizukommen. »Diese Aktion ist symbolisch für die PO-Politik. All ihre Maßnahmen sind provisorisch«, scherzte der Journalist Paweł Lisicki.

Zumindest steht die liberale Opposition in Warschau geschlossen hinter Trzaskowski. In Gdańsk verlaufen die Fronten quer durch ihre Reihen. Der PO-Politiker Paweł Adamowicz, der nunmehr seit 20 Jahren über die Geschicke der Ostsee-Metropole entscheidet, weigerte sich, einem jüngeren Kandidaten den Vorzug zu geben. Zudem sorgte der unnachgiebige Bürgermeister für Irritationen bei der Organisation der Veranstaltung zum 79. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges. Adamowicz versagte dem polnischen Militär die alljährliche Anwesenheit auf der Gdańsker Westerplatte. Parteiinterne Kritiker warfen ihm vor, er habe sich zu einer Machtdemonstration gegenüber dem Verteidigungsministerium hinreißen lassen - auf Kosten polnischer Soldaten. Unter dem Druck der PO ruderte der Lokalpolitiker zwar zurück, doch die Parteizentrale rückte schließlich trotzdem von ihm ab und nominierte Jarosław Wałęsa, den Sohn des bekannten Solidarność-Aktivisten.

Von den Querelen in der dortigen PO könnte nun der 29-jährige PiS-Kandidat Kacper Płażyński profitieren. Der junge Anwalt, dessen Vater bei der Flugzeugkatastrophe in Smolensk umkam, versucht mit Kampfansagen an die lokale Mafia zu punkten. Kaczyńskis Strategie, diesmal auch in Großstädten auf »junge Wilde« zu setzen, scheint sich zumindest in den momentanen Umfragen auszuzahlen.

Doch Polen erwartet ein langer und heißer politischer Herbst. Während einst vielversprechende Schlüsselfiguren der Opposition wie Ryszard Petru, Mateusz Kijowski oder Robert Biedroń zuletzt einen Hang zur blamablen Selbstinszenierung zeigten und zerstrittene linke Parteien offenbar unfähig sind, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, werden Rufe nach einem »nationalen Erlöser« laut. Sein Name: Donald Tusk, einst PO-Chef und Ministerpräsident und heute Präsident des Europäischen Rates.

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