Die Lust an der Provokation

Mit seinen Äußerungen zur Migration will Horst Seehofer die Politik der Bundesregierung weiter nach rechts verschieben

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende der parlamentarischen Sommerpause befinden sich die Regierungsparteien Union und SPD im Krisenmodus. Auf den Klausurtagungen der Fraktionen mussten ihre Vertreter am Donnerstag zur schlechten Stimmung in der Koalition Stellung beziehen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rechtfertigte nach der Tagung im brandenburgischen Neuhardenberg Äußerungen von Horst Seehofer zu den rassistischen Protesten und Hetzjagden in Chemnitz in den vergangenen Wochen. Mit seiner Aussage, dass die Migrationsfrage die »Mutter aller politischen Probleme« sei, hatte der CSU-Vorsitzende und Innenminister Oppositionspolitiker und Sozialdemokraten gegen sich aufgebracht.

»Die SPD soll ihre Hausaufgaben machen und sich um das Sammelbecken von Sektierern kümmern, das die LINKE-Politikerin Sahra Wagenknecht mit Unterstützung von Teilen der SPD und der Grünen organisiert«, sagte Dobrindt.

Das Verhalten von Seehofer und Dobrindt lässt sich zum einen damit erklären, dass die CSU kurz vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober mit dem Rücken zur Wand steht und mit rechten Sprüchen um Wähler kämpft, die bei der AfD ihr Kreuz machen wollen. »Wir haben erstmals eine Partei rechts der Union, die sich mittelfristig etablieren könnte, ein gespaltenes Land und einen mangelnden Rückhalt der Volksparteien in der Gesellschaft«, hatte Seehofer in einem Interview gesagt.

Hinzu kommt, dass die CSU derzeit die Kontakte mit anderen nationalkonservativen und neofaschistischen Parteien in der EU intensiviert, um sich auszutauschen und gemeinsam die Abschottung von Geflüchteten voranzutreiben. Nach diversen Treffen mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán war nun der dänische Regierungschef Lars Lokke Rasmussen an der CSU-Klausur teil. Rasmussen gilt als ein Verbündeter der bayerischen Konservativen, weil er sich etwa für den Aufbau von Flüchtlingslagern außerhalb der EU einsetzt. Mit von der Partei war auch der US-Botschafter und Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump, Richard Grenell, der nach eigener Aussage rechtskonservative Kräfte in Europa stärken will.

Dass die CSU die Konfrontation mit der SPD sucht, wurde nicht nur an ihrer Auswahl der Gäste und der Verharmlosung der Vorkommnisse in Chemnitz durch Seehofer deutlich. Hinzu kam, dass die Bayern das Vorhaben der Sozialdemokraten ablehnen, einen »Spurwechsel« für Asylbewerber zu ermöglichen. Die CSU-Landesgruppe sprach sich gegen diesen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber ausgesprochen. In dieser Frage liegt die CSU auf einer Linie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Der »Spurwechsel« bedeutet im Grundsatz, dass es Asylbewerbern, die abgelehnt und nur geduldet, aber gut integriert sind und einen Arbeitsplatz haben, über das Einwanderungsrecht ermöglicht wird, in Deutschland zu bleiben. Bestehende Möglichkeiten für den Arbeitsmarktzugang wie die »Drei-plus-zwei-Regelung« befürwortete Seehofer. Sie sieht vor, dass Flüchtlinge unter bestimmten Bedingungen hierzulande eine Berufsausbildung beginnen und danach zwei Jahre weiter als Fachkraft arbeiten können.

Trotz dieser Gegenwehr ihres Koalitionspartners war SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles zum Auftakt ihrer Klausurtagung bemüht, Aufbruchstimmung zu verbreiten. In Anspielung auf das Zitat von Seehofer sagte sie: »Die Mutter aller Lösungen ist der soziale Zusammenhalt aller Menschen in unserem Land. Dafür steht die SPD.« Als Konfliktparteien im Asylstreit der Koalition sah sie CDU und CSU. »Wenn Horst Seehofer von der Mutter aller Probleme spricht, meint er in Wahrheit Frau Merkel«, meinte Nahles.

Einige Genossen wurden deutlicher. »Dass Seehofer erklärt hat, dass er als einfacher Bürger auch in Chemnitz mitmarschiert wäre, macht ihn als Innenminister unhaltbar«, sagte SPD-Vizechefin Natascha Kohnen, die auch Spitzenkandidatin ihrer schwächelnden Partei in Bayern ist.

Seehofer wollte mit seinen Äußerungen nicht nur die SPD provozieren. Diese richteten sich auch gegen Merkel und ihre einst liberale Flüchtlingspolitik. Merkel und Seehofer befinden sich seit Jahren in einem Dauerstreit über die Asylpolitik. Zumeist konnte sich Seehofer mit seinen Forderungen nach weiteren Verschärfungen des Asylrechts durchsetzen.

Merkel widersprach ihrem Innenminister nun eher vorsichtig. »Ich sage das anders. Ich sage, die Migrationsfrage stellt uns vor Herausforderungen«, sagte Merkel am Donnerstag dem Fernsehsender RTL zu den Äußerungen von Seehofer. Dabei gebe es »auch Probleme, dabei gibt es auch Erfolge«, so die Kanzlerin.

Seehofer kann auch in der CDU auf Unterstützer zählen. Der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) sagte, Seehofer habe zu Recht darauf hingewiesen, dass die Migration eine der großen Herausforderungen sei. »Natürlich bleibt die Zuwanderung, die Steuerung, Ordnung und auch Reduzierung der Zuwanderung nach Deutschland eine wichtige Aufgabe.«

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