Zwergenkarren auf der Piste

Mit Bobby-Cars rasend bergab, und mit E-Antrieb bald zügig in die Zukunft. Von René Gralla

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Vatertag, dieser jährliche Ausbruch bedröhnten Mackertums, kann manchmal auch zur Mutter von ganz Großem werden. So geschehen zu Himmelfahrt 1993 in einem sauerländischen Weiler: Während dort die jungen Familienväter Dieter Kerzel und Uwe Wagener ein gemeinsames Grillfest vorbereiten, rattern die munteren Kleinen auf Bobby-Cars die Hauptstraße runter und bremsen immer wieder mit Karacho vor dem Garagentor eines Nachbarn.

Der ist irgendwann total genervt, meckert über die Geräuschkulisse - und provoziert die beiden Papas. »Was, der regt sich auf? Dem zeigen wir, wie ein echtes Bobby-Car-Rennen läuft!« Zwei Kerle, ein Kommando: Kerzel und Wagener schnappen sich die Plastikautos der Kids, hocken sich irgendwie auf die Spaßmobile und brettern ihrerseits durch die Gemeinde. Zum Gaudi aller Anwesenden, und der ursprüngliche Beschwerdeführer steht jetzt ziemlich schweigsam da.

Per Zwergenkarre auf die Piste - zum einen eine gelungene Retourkutsche, zum anderen Geburtsstunde einer Disziplin, die wie ein Witz klingt, inzwischen aber ernsthaft betrieben wird. Gepflegt und betreut wird das ganze hierzulande von einem Verein, der bundesweite Bobby-Car-Wettkämpfe und sonstige Events zum Thema veranstaltet: MiniCartClub Deutschland e.V., kurz: MCC, mit Sitz in Silberg, Gemeinde Kirchhundem.

Geschätzt in jedem zweiten deutschen Haushalt steht ein Bobby-Car. Das Gerät soll Kleinkindern helfen, leichter laufen zu lernen; entsprechend die radikal geschrumpften Abmessungen, eine Art vierrädrige Draisine für den Nachwuchs. Folgerichtig sei es natürlich »ein bisschen irre«, wenn Erwachsene damit wie etwa bei Seifenkistenrennen bergab an den Start gingen, »mit einem Gefährt, nicht viel größer als ein Schuhkarton«, räumt Marc Hoppmann ein. Für ihn und alle anderen sei »aber das gerade der Kick«, verrät der 32-Jährige, der im Hauptberuf Vertriebsmitarbeiter und ehrenamtlich MCC-Vizepräsident ist. Seit der Clubgründung sind bereits Zehntausende Rennbesucher in das 400-Seelen-Dorf Silberg gekommen.

Ihn selbst habe am Bobby-Car-Sport natürlich besonders die »unbestreitbar verrückte« Herausforderung gereizt, Spitzengeschwindigkeiten aus einem Kinderspielzeug zu kitzeln, sagt Hoppmann. Das - und dies ist eine weitere Herausforderung - will natürlich zuvor erst einmal vom Bobby-Car zum Bobby-Car-Boliden hochfrisiert werden.

Kein Wunder, dass sich hier viele Ingenieure und Werkstättler tummeln. Das umgerüstete Bobby-Car ist viel gewichtiger, hat u. a. verstärkte Achsen, Scheibenbremsen und Federung. Der Fahrzeugkörper außen bleibt unverändert. Mit einer Ausnahme: eine höhere Lenkstange, um die Verletzungsgefahr zu mindern.

Annähernd 50 Zentimeter breit und gut 100 Zentimeter lang ist die amtliche Version nach den Statuten des MCC: »Wie verstaut ein Durchschnittsmensch seinen Körper auf diesem Mikro-Flitzer?« - »Die Fläche reicht für eine normal trainierte Person, und auch der Po hängt eher selten seitlich rüber«, beruhigt Marc Hoppmann.

Zumal die Piloten während ihrer Bergabrennen den äußerst knapp bemessenen Platz in liegender Haltung optimal nutzen. Das orientiert sich am Bob- und Rennschlittensport und bringt richtig Power. Auf dem Vier-Kilometer-Kurs im Westerwald erreichen Fahrer regelmäßig zwischen 110 und 120 Kilometer pro Stunde. Und zwar ohne Spritverbrauch. »Diese Downhill-Rennen sind ökologisch also absolut nachhaltig«, betont Marc Hoppmann.

Allerdings machte erst vor wenigen Wochen der Ingenieur Dirk Auer bundesweit Schlagzeilen: Der Bastler aus Groß-Gerau hat ein Bobby-Car mit einem 180-PS-Düsentriebmotor getunt und erreichte auf einer Flugzeugpiste 119 km/h. Schaudert es da nicht den traditionellen Fan? - »Überhaupt nicht«, meint Marc Hoppmann. Schon vor geraumer Zeit habe man selbst eine neue Rennklasse geschaffen: für motorisierte Bobby-Cars mit 2,9-PS-Zweitaktern, die auf gerader Strecke 60 km/h schaffen. Schließlich werde der Sport auf diese Weise »noch abwechslungsreicher und spannender«, hofft Hoppmann.

Aber er verweist an dieser Stelle auch darauf: Man habe dabei im organisierten Bobby-Car-Sport das dritte Millennium fest im Blick. Zur vereinseigenen Flotte gehören nämlich längst auch 20 Elektro-Bobby-Cars, Höchstgeschwindigkeit auf der Ebene 20 km/h. Auf lange Sicht sei dies fraglos die »interessanteste Variante«, prognostiziert Marc Hoppmann. Und der Silberger Klub verhandelt gegenwärtig mit einem Elektronikkonzern, um gemeinsam die E-Mobilität zu fördern.

Weitere Infos: www.minicartclub.de

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