Max-Peter Wulff (Berlin, 1956)

Unbekannte Bekannte

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 2 Min.

Seinen Namen weiß ich, begegnet bin ich ihm nie - oder doch? Bis heute stelle ich ihn mir als untersetzten, glatzköpfigen Mann in braunen Reithosen und Stiefeln vor. Als ich an jenem Frühlingstag das kleine Haus am Stadtrand von Berlin betrat, spukte allerorts sein Geist - auf dem Speicher unterm Dach fanden sich in einem zerbeulten Schrankkoffer Uniformstücken der SA, auch eine Hakenkreuzbinde; einen Stock tiefer prangte im Gitter des Schlafzimmerfensters ein gusseisernes Hakenkreuz, und in der Schublade des rohen Holztisches im Keller lag ein Gewühl von Ordensbändern und Abzeichen aus der Hitlerzeit und der Zeit davor - Kram, den sich Frau Schultz, die mit dem Saubermachen des Hauses beschäftigt war, eilig in ihre Schürze packte. »Sie glauben nicht, was die Amis für so was zahlen«, rief sie, »Souvenir, Souvenir … Gold wert das alles«.

Der Mensch Walter Kaufmann

Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeiter, Straßenfotograf und Seemann und hat das Erlebte schreibend dokumentiert. Im vergangenen Jahr veröffentlichte »nd« den ersten Teil einer Porträtreihe, in der sich Walter Kaufmann an Menschen erinnert, die seinen Weg kreuzten. Jetzt setzen wir die kleine Serie fort. Foto: nd/Burkhard Lange

Ich ließ sie gewähren. Sie war eine gute Seele, und stets hilfsbereit. Der Nebenverdienst war ihr zu gönnen. »Gut, dass der Wulff jetzt im Westen ist, wo er hingehört«, sagte sie.

»Sie kannten ihn?« »Nein, aber die Nachbarn - ein kleiner Dicker, zwei Kopf kürzer als die Ehefrau, dabei gut zu Pferde.«

Ich musste lächeln. »Aber braun bis auf die Knochen«, sagte ich. »Mein Gott«, protestierte sie, »waren doch viele hier.«

Sie sah mich an. »Werden damit leben müssen, wenn sie erst hier einziehen.«

»Den Schrankkoffer und das gusseiserne Hakenkreuz sollten sie entsorgen«, sagte ich ihr. »Mach ich, mach ich«, versprach sie, und wieder entschlüpften ihr ein »Souvenir, Souvenir«, wobei sie auf mich zu trat und geheimnisvoll erklärte: »Aber tierlieb war er - das immerhin.«

»Tatsächlich?« »Gehen Sie mal zum Briefkasten«, riet sie mir. »Sie werden schon sehen.« Am Briefkasten beim Gartentor entdeckte ich eine in Zellophan geschützte handgeschriebene Warnung: ACHTUNG - VOGELNEST! BITTE KEINE POST EINWERFEN. MIT DANK UND DEUTSCHEM GRUSS. MAX-PETER WULFF.

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