Verlorene Kompetenz

Die bayerische SPD verabschiedet sich mit ihrer Spitzenkandidatin Natascha Kohnen langsam als Volkspartei im Freistaat

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer den Schaden hat, braucht sich um den Spott nicht zu sorgen. In Hinblick auf die Landtagswahl im Oktober steht die bayerische SPD in Umfragen derzeit bei 13 Prozent der Stimmen. Das wäre ein Minus von sieben Prozent gegenüber der Wahl vor fünf Jahren, die Sozialdemokraten lägen damit hinter der AfD (14 Prozent). Grund für den CSU-Spitzenkandidaten Markus Söder, im Bierzelt über die Sozis zu spotten: »Bedrohte Arten werden von der Bejagung verschont, bis sie sich erholt haben.« Was die Partei nach außen hin nicht anficht: »Wir sind alle kampfesmutig ohne Ende«, verlautbarte SPD-Generalsekretär Uli Grötsch in München.

Die Partei tritt mit ihrer Landesvorsitzenden Natascha Kohnen als Spitzenkandidatin an. Diese präsentiert sich auf den ganz in blau gehaltenen Wahlplakaten mit blonder Mähne, verschränkten Armen und einem Blick, der Herausforderung oder gar Konfrontation bedeuten kann. Die geborene Münchnerin und Mutter zweier erwachsener Kinder (Biologin und Lektorin als Beruf) gilt als politische Quereinsteigerin. Sie ist erst mit 33 Jahren in die SPD eingetreten. Schnell machte sie dort aber Karriere: Zunächst als Gemeinderätin in Neubiberg und schon nach wenigen Jahren als Landtagsabgeordnete, dann war sie Generalsekretärin der Bayern-SPD an der Seite des farblosen Landesvorsitzenden Florian Pronold.

Als der sie zu seiner Nachfolgerin vorschlug, forderten etliche SPD-Mitglieder einen Neuanfang. Bei einer Mitgliederbefragung setzte sich Kohnen gegen fünf männliche Kontrahenten durch. Auf dem Parteitag im vergangenen Jahr wurde sie dann mit 88,3 Prozent zur Landesvorsitzenden gewählt. Die SPD habe mit ihr die richtige Wahl getroffen, gratulierte die »Süddeutsche«: »Kohnen ist eine moderne Frau, die jünger wirkt als 50, einem in der Politik ohnehin jugendlichen Alter. Sie ist intelligent und eloquent und gilt als liberal.«

In der Tat könnte die Spitzenkandidatin mit ihrem Auftreten und ihrer Biografie etwa die modernen, jungen berufstätigen Frauen in den Städten als Stimmpotenzial ansprechen. Doch der scheinbar unaufhaltsame Abstieg der Sozialdemokratie hat nicht unbedingt etwas mit der Personalpolitik der Partei zu tun. In Bayern jedenfalls war das Angebot in den vergangenen Jahrzehnten sehr unterschiedlich, darunter gab es durchaus Identifikationsfiguren. So trat 1986 und 1990 Karl-Heinz Hiersemann für die SPD an, ein Schwergewicht nicht nur auf politischer Ebene, das »gestandene Mannsbild« holte damals um die 26 Prozent der Stimmen. Mit Renate Schmidt kletterte 1994 der Stimmenanteil wieder auf 30 Prozent, die Bundesfamilienministerin erntete Sympathien bei den Wählern. 2003 kam mit dem Spitzenkandidaten Franz Maget der Absturz unter die 20-Prozent-Marke. Maget verkörperte quasi das Urgestein der Sozialdemokratie mit beruflichen Stationen bei den Gewerkschaften und der Arbeiterwohlfahrt. Nachdem die SPD in Bayern bei der Landtagswahl 2008 bei 18,6 Prozent angekommen war, sollte 2013 der langjährige Oberbürgermeister von München, Christian Ude, das Steuer noch einmal herumreißen. Ude war damals so ziemlich der bekannteste SPD-Politiker in Bayern und hatte in der Landeshauptstadt regelmäßig die Mehrheit für die Sozialdemokraten geholt. Doch der Prominentenbonus blieb bescheiden, die SPD kam auf 20,6 Prozent der Stimmen. Aber immerhin.

Eine solche Zahl gilt heute für die SPD quasi als Traumziel. Glaubt man den Umfragen, liegt die Partei hinter der CSU, Grünen und der AfD auf dem vierten Platz. Anders als etwa in Rheinland-Pfalz konnte sich die Partei in Bayern nicht vom Abwärtstrend der Bundespartei abkoppeln.

Ein Beispiel für deren Einfluss gibt jetzt ironischerweise die Auseinandersetzung um das bayerische Familiengeld, das im September von der CSU eingeführt worden ist. Die Staatsregierung zahlt an Familien mit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr je 250 Euro pro Kind und Monat. Nicht gelten soll das allerdings für die Bedürftigsten, etwa alleinerziehende Mütter mit Hartz IV. So will es jedenfalls der sozialdemokratische Bundesfamilienminister Hubertus Heil, der bereits ankündigte, das Geld zurückzufordern. Dieser Spagat zwischen einem Wahlkampf, der soziale Themen betont, und der Hartz-IV-Vollstreckung durch einen Bundesminister der SPD will erst einmal dem bayerischen Wähler erklärt sein.

Wo die einstige Kernkompetenz der Sozialdemokratie, das Soziale, nicht mehr automatisch gilt, soll es nun die Werbeagentur richten. Die bayerische SPD lässt sich von Kajo Wasserhövel, dem Wahlkampfmanager des früheren Parteichefs Franz Müntefering, beraten. Der setzt auf einen Themenwahlkampf um die Schwerpunkte bezahlbares Wohnen, bessere Kitas und die Person Natascha Kohnen. Der Berater weiß aber auch, wie er der Presse sagte: »Das wird eine super harte Nummer.«

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