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Mit den »Ankerzentren« kommen die Probleme

Landesregierung Schleswig-Holsteins reduziert Zahl der Plätze in Boostedt und erhöht sie in Neumünster

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die im Masterplan für Migration von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angedachten »Ankerzentren« als Sammelpunkte für Asylsuchende in den Ländern stoßen entgegen anderen Verlautbarungen bereits jetzt an Akzeptanzgrenzen. Diese Erfahrung macht gerade die schleswig-holsteinische »Jamaika«-Regierung. Die muss nämlich den Stresstest im Spannungsfeld zwischen Kosteneffizienz und sozialem Frieden aushalten.

»Anker« steht für Ankunft - Entscheidung - Rückführung. Die Konzentration auf solche wenigen Aufnahmestandorte von Geflüchteten soll vornehmlich für eine beschleunigte Verfahrensabwicklung sorgen, aber auf die potenziellen Insassen auch abschreckend wirken. Schleswig-Holsteins Landesregierung hat sich gleich zu Beginn der Diskussion um diese »Anker«-Einrichtungen dafür gerühmt, eigentlich nichts anderes mit seinen Ankunftszentren vergleichsweise reibungslos schon längst zu betreiben, ohne den mit Vorhalten behafteten Namen dafür zu verwenden. Wenn das stimmt, dann haben es die Leute in der Umgebung offenbar bisher nicht verstanden. Denn erst jetzt rührt sich Widerstand.

Als die Kapazitäten seiner Landeserstaufnahmeeinrichtung in Neumünster aus allen Nähten platzten, nutzte man die räumlichen Möglichkeiten der sieben Kilometer entfernten, als Bundeswehrstandort aufgegebenen Rantzau-Kaserne in der 4600-Einwohner-Gemeinde Boostedt. Mit viel Herzblut hatten sich viele Bewohner seit 2014 daraufhin der Geflüchteten angenommen - hier wurde die Willkommenskultur, die die Politik so gern in den Mund nahm, zur Realität. Inzwischen ist die Stimmung im Ort allerdings merklich gekippt.

Die ehemalige Kaserne ist nun Außenstelle für die Erstaufnahme in Neumünster. Hauptsächlich Flüchtlinge mit unsicherer bis geringer Bleibeperspektive werden dort einquartiert. Es ist ein Ort der verordneten Hoffnungslosigkeit. Laut Bürgerklagen verhalten sich die Betroffenen im Straßenbild nun allerdings nur bedingt »integrations-pflegeleicht«.

Auf die Vorhaltungen reagierte das Innenministerium mit einer Aufstockung der Polizeikräfte vor Ort, obwohl die Kriminalitätsstatistik eigentlich überhaupt keine Auffälligkeiten bezüglich Geflüchteter aufweist. Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) verweist zudem auf eine Ausweitung von Freizeit- und Betreuungsangeboten in der Sammelunterkunft, die jedoch alle täglich nur bis 16.30 Uhr angeboten werden.

Das Land will seine Flüchtlingsverantwortung entsprechend eines Kabinettsbeschlusses nun ganz auf die beiden Einrichtungen in Neumünster und Boostedt konzentrieren. Die Liegenschaft in Boostedt soll bis November 2024 genutzt werden. Weil es dort aber zuletzt vor allem auch Unmut über die Zahl der untergebrachten Flüchtlinge gab, hat das Innenministerium aus Kiel nun zugesagt, diese abzusenken. Am 1. September lag die gemeldete Anzahl von Plätzen bei 1241. Schnellstmöglich soll auf 900 Plätze reduziert werden, bis Ende des nächsten Jahres dann auf 500 plus einer 200-Plätze-Reserve. Im gleichen Zuge soll der Standort Neumünster für 1500 Geflüchtete ausgebaut werden.

In einer Einwohnerversammlung mit rund 500 Besuchern wurde in Boostedt die Forderung an Grote herangetragen, die Verteilung der Flüchtlinge auf mindestens einen weiteren Standort auszudehnen, um vor allem auch soziale Spannungen »abzufedern«. Mit einer ähnlichen Forderung ist bei der nächsten Bürgerinformationsveranstaltung an diesem Montag in Neumünster zu rechnen. Die dortige Erstaufnahmeeinrichtung befindet sich ebenfalls auf dem Areal einer ehemaligen Bundeswehrkaserne und beherbergt derzeit rund 600 Flüchtlinge. Die Erweiterungspläne auf eine Kapazität von 1500 Plätzen ist für viele nur eine Verlagerung der Probleme von Boostedt in die 80 000-Einwohner-Stadt, die nur einige Kilometer entfernt liegt. Im Stadtteil der Erstaufnahme gibt es jedenfalls entsprechende Sorgen.

Die SPD-Landtagsfraktion spricht sich gegen Sammelunterkünfte mit mehr als 500 Plätzen aus, weil diese ein zu großes Konfliktpotenzial auch für die Asylsuchenden darstellten. Das Innenministerium des Landes führt hingegen finanzielle Aspekte ins Feld. Ein Ankunftszentrum muss laut Grote 500 bis 1000 Unterbringungsplätze haben, um angesichts des nötigen Aufwands zu funktionieren. Es soll mehr Personal eingestellt werden, um Abschiebungen zu forcieren.

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